Abenteuer des Werner Holt
überschlug: »Tiefflieger Richtung neun!« Holts Herzschlag setzte aus. Unwillkürlich riß er das Geschütz nach Westen herum. Eine Woge von Lärm spülte heran. Zwölf Mustang-Jäger rasten über die Stellung hinweg, stießen erst über dem Wäldchen im Osten tief herab und feuerten mit Bordkanonen und Maschinengewehren in die Schrebergärten und Laubenkolonien. »Neuer Anflug Richtung drei!« brüllte Ziesche. Die Mustangs flogen zum zweitenmal sehr tief an; sie hatten die Batterie entdeckt, lösten ein paar Bomben und schossen mit Bordwaffen auf die B 2 und Geschützstände.
Eine Druckwelle warf Holt gegen die Kanone, Rauch füllte den Geschützstand, in der Dunkelheit klirrte Stahl, Holz brach … Fern, undeutlich, überschrie Wolzow das Motorengeheul: »Werner, verdammt, nach links!« Eine fremde, entstellte Stimme: »Volle Deckung!« Das Dunkel wehte auseinander, eine einzelne Maschine raste auf den Geschützstand zu, so tief, daß hinter dem Glas der Kabine das Gesicht des Piloten maskenhaft heranwuchs. Ein Satz, Holt war im Mannschaftsbunker. Dort schnallte Wolzow den Helm fest und schrie: »Die Kanone ist hin! Der Luftvorholer läuft aus! Werner, Christian, Sepp, los … zu Berta!« Holt sprang hinter ihm her. Der graue Barackenhaufen am Fahrweg brannte. Neben dem Geschützstand ein breiter, flacher Trichter.Holt lief. Motorenlärm, der sich ins Unerträgliche steigerte. Holt warf sich hin. Wie eine Sturmbö fegte es über ihn hinweg. Er lief und erreichte den Geschützstand. Dort stemmte Wolzow den Verschluß auf. Auch Vetter und Gomulka waren da, barhäuptig, und rissen einen Munitionsbunker auf. Wolzow warf eine Nahfeuerpatrone ins Rohr. Eine Maschine raste heran, Holt zog den Kopf zwischen die Schultern. Die Kanone wankte, Wolzow schrie: »Daneben!« Holt hatte keinen Einschlag gehört, eine Rauchwolke trieb über den Geschützstand. »Links, Werner, ja, so! Weiter runter, Sepp!« Der Schuß schmetterte, die Kanone bebte, Holt dachte befreit: Gilbert schießt! Vetter brüllte: »Neuer Anflug Richtung neun!« Die Maschine war schon über die Jungen hinweg, auf dem Erdwall stiebte Dreck hoch. Wieder zog Wolzow ab, der Schuß krachte. »Feierabend! Hülsenklemmer!« Auf einmal war es ganz still. Gomulka keuchte: »Verflucht … o verflucht!«
Holt erhob sich taumelnd vom Richtsitz. Wolzow spähte über den Erdwall. Er sagte: »Sie sind weg!« Und: »Brennt ganz schön … Bloß die Chefbude steht noch!« Holt nahm den Helm ab und befühlte seinen Kopf. Das Feuer knisterte.
Sie traten ins Freie. Die B 2 wimmelte von Menschen. Bei den Geschützen im Norden rief es langgezogen: »Sa-ni-täää-ter!« Anton bot ein Bild der Verwüstung. Schmiedling lag bewegungslos in einer Blutlache. Ein paar der Schlesier standen verängstigt herum. »Helft doch dem Ziesche!« rief jemand.
Die Westwand des Geschützstandes war eingedrückt. Ziesche lag auf dem Rücken zwischen zwei Holmen, seine Beine waren bis über die Knie unter dem Erdreich begraben; er lag bewegungslos, mit offenen, hervorquellenden Augen, sein Unterkiefer bebte. Sie wuchteten einen Balken der umgestürzten Holzverschalung hoch und zogen Ziesche hervor. »Es ist nicht zu glauben! Die Beine sind heil!« – »Der Balken hat auf einem Pfahl aufgelegen«, erklärte Wolzow ungerührt, »sonst hätte er ihm die Knochen zerquetscht!«
Sie standen alle um Schmiedling herum, der auf dem Bauch lag, die Hände in den Schlackebelag des Bodens gekrallt. »Und mich hat er ›Leiche‹ genannt!« rief Vetter. »Dabei hätte der lieber aufsich selbst aufpassen sollen!« – »Halt’s Maul«, sagte Gomulka. Holt stand stumm dabei und sah auf den toten Schmiedling. Er hat vier Kinder, dachte er.
Ziesche stand unversehrt auf, alle Glieder schlotterten. »Nervenschock!« sagte Wolzow. »Das gibt sich!« – »Leitungsprobe!« rief es von der B 2. Die Leitungen waren ohne Strom. Gottesknecht trat in den Geschützstand. »Verluste?« – »Schmiedling tot«, meldete Wolzow, »und Ziesche leicht beschädigt.« – »Und das Geschütz?« – »Der Luftvorholer dürfte endgültig hinüber sein«, sagte Wolzow. Gottesknecht notierte und ging.
Fünf Tote und elf Verwundete war die Bilanz dieses Sonntagvormittags. Die Nachrichtenhelferin war in der Schreibstube umgekommen, verbrannt. Vier Geschütze waren beschädigt, zwei davon wurden bis zum Abend wieder einsatzfähig. Anton und Dora mußten in die Werkstatt gebracht werden. Bei Anton hatte ein Geschoß den
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