Abenteuer des Werner Holt
Gestapo ist der Arm des Führers, der unbarmherzig allen Feinden des Reiches das Handwerk legt. Oder: Hätte es 1918 schon eine Gestapo nationalsozialistischen Gepräges gegeben, so würde die Revolution der Zuhälter und Deserteure brutal im Keim erstickt worden sein …
Jetzt erst fiel Holt auf, daß jede dieser Definitionen mit einem Beiwort wie »unbarmherzig«, »brutal« oder »rücksichtslos« versehen war, was den Begriff »Geheime Staatspolizei« mit dem Geruch des Schrecklichen umgab. Womit hab ich angebunden! Was hab ich herausgefordert! Wie soll das enden! Immer neue Erinnerungen tauchten in seinem Bewußtsein auf, von weit her, gewaltsam aus dem Gedächtnis getilgt: »… Ruths Vater ist gar nicht wieder nach Hause gekommen, und niemand weiß, wo er jetzt ist …«, das hatte Marie Krüger erzählt, »und niemand weiß, wo er jetzt ist …« – »Im Generalgouvernement bringen sie die Juden zu Hunderttausenden um, die SS …«, das war Gertie. Und der alte Mann in seinem muffigen Zimmer: »… tötet die SS heute Hunderttausende von Menschen.«
Eine Welt des Grauens tat sich auf.
Er sprang auf, warf einen Geldschein auf den Tisch und trat ins Freie. Er lief in eine Telefonzelle. Sie war außer Betrieb. Er rannte planlos durch zerstörte Straßen, bis er ein Postamt fand. Endlich meldete sich Frau Ziesche. »Ich komm eben nach Hause, ich war bei Günter im Revier … Was gibt’s? Wo sprichst du?« Er sagte: »Ich kann heut nicht in die Batterie zurück, erst morgen früh … Bitte, darf ich bei dir bleiben?« Sie lachte. Er begriff nicht, warum sie so lachte. »Komm schon!« Befreit hängte er den Hörer auf. Fürs erste war er geborgen.
Sie empfing ihn, nahm ihm den Stahlhelm ab und schob, als sie ihn ins Zimmer geleitete, gutgelaunt ihren Arm unter den seinen. »Was ist das für eine neue Mode?« sagte sie. »Meinst du wirklich, du mußt Gruselgeschichten erfinden, wenn du bei mir bleiben willst?« Jetzt wurde ihm klar, warum sie vorhin so gelacht hatte, und er sagte unwillig: »Du irrst dich. Ich bin in einer schlimmen Situation!«
Sie hörte sich an, was er erzählte, und während sie zuhörte, gefrorihr Gesicht. Noch ehe er fertig war, erhob sie sich, stellte das Radio ab und entzündete in nervöser Hast eine Zigarette. »Und was hast
du
damit zu tun?« – »Ich hab Wolzow angestiftet«, sagte er.
»Bist du denn nicht bei Trost?« sagte sie erregt. »Wie kannst du so etwas tun?« Er blickte ihr in das blasse, feindselig verschlossene Gesicht, tief enttäuscht. »Du hast recht«, sagte er müde. »Ich weiß, daß es nicht richtig war. Aber Verständnis solltest du eigentlich dafür haben.«
»Nein!« sagte sie scharf. »Da täuschst du dich gewaltig in mir. Ich bin eine deutsche Frau! Für so was habe ich nicht die Spur Verständnis!«
»Was denn, was denn«, sagte er fassungslos. »Wer hat mich denn konfus gemacht mit ›russischer Seele‹?« – »Ach …«, sagte sie gedehnt und sah ihn mit einem unbeschreiblichen Ausdruck an. »Jetzt soll ich wohl an diesem Wahnsinn schuld sein?« – »Jawohl, du!« rief er, außer sich vor Zorn. »Streng dich nur ein bißchen an und erinnere dich!«
»So nicht, mein Lieber«, sagte sie leise, aber drohend. »So auf gar keinen Fall! Du möchtest mich wohl in die Sache hineinziehen, ja? Gib dich keinen Illusionen hin, ich habe mehr Rückgrat als du!« Sie beugte sich über den Rauchtisch, das entstellte Gesicht ihm zugewendet: »Treib mich nicht so weit, daß ich Ziesche gegen dich zu Hilfe rufen muß!«
Holt fühlte, wie ihn die Beherrschung verließ. Er wollte Frau Ziesche anschreien. Aber da erfaßte ihn verzweifelte Schwäche. Apathisch saß er im Sessel. War also Geschwätz, was sie von »russischer Seele« erzählt hat, dachte er, hat sie gar nicht ernst gemeint …
»Such die Schuld erst einmal bei dir«, sagte Frau Ziesche, »bei den Einflüsterungen deines sauberen Herrn Vaters, bei deiner persönlichen Laschheit, der undeutschen Toleranz …!«
Das ist allerhand! dachte Holt empört, und nun wurden auch in ihm gemeine Gedanken hochgespült. »Drohen …«, sagte er, »mit deinem Mann drohen ist sinnlos! Du denkst nämlich gar nicht daran, ihn gegen mich auszuspielen, ich könnte ihmimmerhin ein paar … interessante Einzelheiten aus deinem Leben erzählen.« Das war deutlich. Sie stieß nervös die Zigarette in die Aschenschale. Er sah mit Genugtuung, daß er die rechte Tonart gefunden hatte.
»Du entpuppst dich ja in einer netten
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