Abenteuer des Werner Holt
daß der Holt voller Zuversicht auf den Endsieg baut, und wenn er jetzt so niedergeschmettert in der Ecke sitzt, dann bloß, weil ihm wieder mal irgendeine Weibergeschichte über den Kopf wächst. Aber der Ziesche, oder so einer, der könnte jetzt auf Holt zeigen und sagen: Der Wolzow hat ihn moralisch fertiggemacht mit seiner defätistischen Einschätzung der Lage! Er könnte zum Chef laufen und eine bildschöne Meldung machen: Der Wolzow zersetzt die Wehrkraft seiner Kameraden! Und wie das weitergeht, so mit Tatbericht und allem Komfort, das ist Ihnen ja bekannt. Sehen Sie, und wir wollen doch unter allen Umständen vermeiden, daß so was passiert, nicht?«
»Jawohl, Herr Wachtmeister!«
»Na also. Und Sie, Holt, Sie ziehn ein anderes Gesicht, aber sofort! Sie sind überhaupt ein ganz wankelmütiger Mensch! Kaum hat Ihnen die V 1 ein bißchen die Moral aufgemöbelt, da genügt ein Blick auf die Karte, und Sie kippen aus den Pantinen. Schlecht, Holt! Nehmen Sie sich ein Beispiel an Wolzow, der hat eine geradezu napoleonische Gelassenheit … Gesundheitlich geht’s Ihnen doch gut, Holt?«
»Jawohl«, sagte Holt, der sich verhöhnt und elend fühlte.
»Das ist immer noch die Hauptsache. Also …«, er wandte sich zur Tür, »dann haut euch mal bald aufs Ohr, Jungs, wer weiß, ob ihr heut nacht zum Schlafen kommt. Gute Nacht!«
»Gute Nacht, Herr Wachtmeister!«
Wolzow faltete wortlos die Karte zusammen. Gomulka trat ans Fenster und blickte in den späten Sommerabend hinaus. Holt sagte: »Wirklich ein Original, dieser Gottesknecht, nicht?« Es klang verkrampft. Er sagte leise und schnell: »Gilbert, auf Ehre und Gewissen: täuschst du dich auch nicht? Ist es wirklich so, wie du sagst?«
Wolzow antwortete: »Ich kann mich täuschen. Es kann noch viel interessanter sein, denn ich hab keine Ahnung, wieviel Divisionen in den Kesseln stecken und was weiter westlich an Reserven zur Verfügung steht.«
»Aber da versteh ich nicht, wie du so gleichgültig darüber reden kannst! Mein Gott, was soll denn werden? Es geht doch um Deutschland! Bewegt dich das gar nicht?«
»Mich?« sagte Wolzow erstaunt. »Aber man muß das doch auseinanderhalten, ob man selbst im Schlamassel drinsteckt, oder ob man die Lage allgemein beurteilt. Hier, an der Karte, da ist das wie beim Schach, wo man sich als fairer Spieler über jede schöne Kombination des Gegners freut. Außerdem nützt das doch nichts, wenn man den Kopf hängen läßt!«
»Ich kann das nicht. Ich muß immer denken: Und wie geht das weiter?«
»Woher soll ich das wissen? Der Führer wird sich schon was einfallen lassen! Das ist ja schließlich nicht der erste Krieg, wo’s mal Rückschläge gibt und doch noch gut endet. Hannibal stand nach der Schlacht bei Cannae vor dem schutzlosen Rom, da hätte keiner mehr einen Groschen fürs Römische Reich gegeben, und dann kam’s doch anders! Oder die Goten, die sind unter Totila nach Byzanz gerückt, und kein Mensch hätte sie aufhalten können, und doch hat Narses noch den Krieg gewonnen.« Er zählte weitere historische Beispiele auf. »Friedrich nach Kunersdorf … Das Marnewunder 1914, da haben die Franzosen genauso dagesessen wie heute wir und haben gedacht: die Lage ist mies!«
Die Analogien verfehlten nicht ihre Wirkung. Holt schämte sich: Ich bin wankelmütig und schwach. Nichts ist verloren, wenn ein jeder an seinem Posten ausharrt!
11
Es war ein Sonntag im Juli, das schöne Wetter hielt an. Der Tag war tropisch heiß. Dunst verschleierte den Himmel. Über den Werken ringsum lagerte der Rauch der Schlote in grauen Bänken.
Schmiedling lehnte an der Bunkerwand und erzählte, was er sich für den Urlaub alles vorgenommen habe. Ziesche horchte in den Kopfhörer und verfärbte sich. »Mehrere starke Jagdverbände über Holland! Mit Tiefangriffen muß gerechnet werden.« Tiefangriffe? dachte Holt verwundert. Warum nicht gar!
Wolzow nahm die Warnung ernst. Er schnauzte: »Seit Ostern gibt’s überall Tiefangriffe! Sepp, Werner, hängt euch an die Leitung! Nahfeuerpatronen!« – »Nahfeuer?« sagte Vetter erstaunt. »Mach bloß keine Witze!«
Ein paar Minuten verstrichen. Auf der B 2 schrie eine Stimme: »Motorengeräusch Richtung neun!« Und schon: »Verband in neun!« Fern, aber nicht allzu hoch, zog ein Schwarm einmotoriger Flugzeuge vorüber. Wolzow streifte die Feldbluse über den nackten Oberkörper. Das Motorengeräusch schwoll auf einmal mächtig an. Ziesche schrie mit einer Stimme, die sich
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