Abenteuer des Werner Holt
wachsbleich, und er sagte, während er nach den Schuhen angelte: »So … so! Ihr habt es alle gehört! Ihr seid Zeugen! Er hat den Führer einen Trottel genannt! Ich mach Meldung!«
Gomulka rief: »Quatsch doch nicht, Mensch, dich hat er Trottel genannt!« – »Den zweitgrößten«, sagte Branzner. Gomulka meinte: »Sei doch froh, daß es offensichtlich noch einen größeren gibt als dich!« Aber Branzner, während er einen Schuh anzog, schüttelte den Kopf: »Nein, also nein, nein! Keine Ausreden! Nein! Ich stelle eindeutig fest, daß es gar keine andere Auslegung gibt: der Führer ist der größte Trottel!«
Die Tür flog auf. Gottesknecht trat ein. »Branzner!« sagte er streng. »Was höre ich? Was sagen Sie da?«
Schweigen.
»Ich drücke ja beide Augen zu«, fuhr Gottesknecht fort, »wenn sich einer mal eine kernige Bemerkung über die Führung erlaubt. Aber was Sie da eben gesagt haben, das geht zu weit!«
Branzner stand halb angekleidet, einen Schuh in den Händen, vor seinem Bett. Er stammelte: »Ich? Aber ich … Der Holt! Ich meine doch … Das ist doch …« Plötzlich schrie er verzweifelt: »Aber ich hab das doch gar nicht … ich wollte doch bloß … die anderen hatten doch … ich würde doch nie … ich … ich …« – »Nehmen Sie sich zusammen!« rief Gottesknecht. »Was erlauben Sie sich!«
Holt war überzeugt, daß Gottesknecht lange an der Tür gelauscht hatte und im passenden Augenblick eingetreten war. Die Art, wie sein Erscheinen die Szene ins Groteske kehrte und auf den Kopf stellte, erfüllte ihn mit einem Lachreiz und mit Furcht.
Branzner war in sich zusammengesunken und warf hilfesuchende Blicke auf Wolzow, auf Holt, auf Gomulka. Wolzow sagte endlich: »Der Branzner ist ja sonst ein anständiger Kerl, vielleicht hat er es wirklich nicht so gemeint.«
»Wenn niemand etwas gehört hätte, wäre es zweifellos das beste«, sagte Gottesknecht nach einigem Nachdenken.
»Ich hab nichts gehört«, sagte Gomulka. – »Ich auch nicht.« – »Ich hab schon geschlafen.« – »Ich als Nationalsozialist«, sagte Wolzow großartig, »müßte eigentlich darauf bestehen. Aber da will ich halt auch nichts gehört haben.«
»Schön«, sagte Gottesknecht. »Ich bitte mir aus, daß solche sinnlosen Streitereien in Zukunft unterbleiben. Gute Nacht.«
Sie schwiegen, bis die Barackentür ins Schloß gefallen war. Branzner sagte: »Was seid ihr … für Schufte!«
Theater, alles Theater, dachte Holt.
Gottesknecht sagte: »Ich seh’s ja, wenn ich Sie nicht gehen lasse, dann leidet Ihre Kampfmoral! Haun Sie ab!« Eine Stunde später langte Holt bei Frau Ziesche an.
Sie packte. Auf dem Korridor standen Koffer, Kisten und Körbe. Frau Ziesche trug eine knallbunte Schürze. Im Schlafzimmer schichtete sie Wäsche in einen Korb. Holt sah ihr zu. »Ja, lebst du denn auf dem Mond?« rief sie. »Goebbels ist Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz geworden. Sämtliche Theater, Varietés und Kunstschulen sind geschlossen und fast dasganze Schrifttum ist stillgelegt worden! Jeden Tag können neue Richtlinien für den Arbeitseinsatz bekanntgegeben werden, ganz strenge Maßnahmen! Meinst du, ich hab Lust, Granaten zu drehen? Da ruiniere ich mir fürs ganze Leben die Hände! Sechzig Stunden Arbeitszeit wöchentlich, dazu hab ich keine Lust!« Sie setzte sich aufs Bett und brannte sich eine Zigarette an. »Ich schließe hier zu«, sagte sie, »die Sachen werden ausgelagert … Wie steht es denn mit deinem Urlaub?«
»Bewilligt«, sagte Holt. »Es kann jeden Tag losgehen.«
»Wollen wir in den Bayrischen Wald fahren?« fragte sie.
Er antwortete nicht. Er rauchte und schaute sie aufmerksam an. Sie lächelte, sehr verführerisch, sehr verlockend. Wie seltsam: es wirkte nicht! Holt dachte: Sie hat nicht mal gefragt, wie das mit Ziesche passiert ist … Es wäre wirklich schade, wenn ihre Hände Schwielen bekämen! Auf einmal, es war wie eine Zwangsvorstellung, sah er Schmiedlings große, behaarte Hände, in den Schlackeboden des Geschützstandes gekrallt, sah auch Zemtzkis Hände, Rutschers Hände … »Ich weiß nicht«, sagte er trübsinnig, »in den Bayrischen Wald? Es wäre schön. Aber ob sich das bei mir noch ändern läßt …« Sie sagte leise: »Es wird bestimmt sehr schön!« Aber auch das verfing seltsamerweise nicht. Er dachte: Sie ist wirklich bildhübsch. Warum regte sich bei diesem Gedanken nichts in ihm, wie sonst? Sie sagte: »Laß deine Papiere umändern, Urlaubsort,
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