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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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niederkrachen. Raus! dachte er. Die Bitterkeit des Unterganges. Neben der Treppe, in einer Nische, stand eine große Zinkwanne voll Wasser. Reichsminister Doktor Goebbels: ein Wort zum Luftkrieg, dachte er.
Nasse Decken!
dachte er, es gab keine Decken. Er tauchte das Kind in die Badewanne, und noch einmal, es kam zu sich und schrie, er legte es auf den Kellerboden. Frau Ziesche lag auf den Knien: »Heiliger Joseph, Nährvater … bitte für uns in der Stunde des Todes … Jungfrau Maria … bitte für alle, die heute im Todeskampf liegen …«Als Holt sie anfaßte, begann sie wieder zu schreien: »Nicht ins Feuer!« Er stieß sie gewaltsam in die Wanne. Der Stahlhelm klirrte auf das Zinkblech. Ein Lachen schüttelte Holt, oder war es ein Weinen? Er tauchte ihr den Kopf unter, sie verstummte, er half ihr heraus, sie hatte irre Augen. Holt wälzte sich in der Wanne, dann hing die Uniform wie eine Zentnerlast an ihm. Wo war der Alte? Der Alte war nirgends. Alle, die heute im Todeskampf liegen … »Los jetzt!« Er hob das Kind auf, da umklammerte ihn Frau Ziesche abermals: »
Mich
mußt du retten, Jesus Maria, laß doch das Kind!« Er befreite sich, faßte sie am Unterarm und zog sie die Stufen hoch. Das kleine Mädchen hing unbeweglich unter seinem Arm. Als sie auf halber Höhe waren, krachte vor der offenen Haustür brennendes Gebälk auf die Straße, die Funken stoben bis in den Hausflur. Unerträgliche Glut prallte ihnen entgegen. Holt zerrte Frau Ziesche ins Freie. Der heulende Feuersturm schlug über ihnen zusammen und peitschte ihnen Funken ins Gesicht. Wohin? Wo ist Rettung? Alle Häuser ringsum brannten, in großen Flächen brannte der Asphalt, Blasen werfend unter Phosphorpfützen, die Lungen versengten, auf der Straße lagen dunkle Gestalten, schwarze Strünke, mitten im Feuer, glimmende Matratzen, überall Tote, hinter ihnen krachte ein Haus in sich zusammen, vor ihnen kippte eine riesige, flammende Fassade auf die Straße … Zurück! Holts Mütze brannte, er warf sie von sich, er packte Frau Ziesche um die Hüfte und schleppte sie weiter, die nassen Kleider kochten, sein Bewußtsein setzte aus, er stolperte über einen Toten.
     
    Sie fanden sich auf dem Gelände einer Kohlengrube wieder. Hinter ihnen raste das Feuer. Überall lagerten Menschen auf dem Boden, stumm, wie tot, nur Kinderweinen war zu hören. Frau Ziesche hockte auf der Erde, regungslos, er nahm ihr den Stahlhelm ab. Das kleine Mädchen zu seinen Füßen bewegte sich nicht. Er setzte den Stahlhelm auf, um beide Hände frei zu haben, dann trug er das Kind zu dem großen Sanitätszelt. »Eltern?« Holt sagte: »Ich weiß nicht …« Ein Arzt beugte sich über das Kind, richtete sich auf, ließ das Stethoskop sinken und sagte über die Schulter:»Ex.« Zu Holt: »Sie hätten sich die Mühe sparen können.« Holt rührte sich nicht. Er sah auf das Kind. Es trug rote Schuhe.
    Ein Mädchen schenkte Kaffee aus, in angeschlagenen Steinguttassen. Holt wurde zur Seite gedrängt. Er ließ sich einen Becher geben und trug ihn zu Frau Ziesche: »Hier … trink!« Sie trank willenlos. »Willst du noch mehr?« Sie schüttelte den Kopf. Er brachte den Becher zurück und ließ ihn wieder füllen. Das Mädchen sagte: »Wie siehst du denn aus! Bist du verletzt?« Er schüttelte den Kopf. Er ging zurück zu Frau Ziesche. »Komm!« Sie reihten sich ein in die Kolonne, die nach Westen zog. Sie gelangten an einen schmalen Kanal, über den eine Holzbrücke führte. Weiter! Ein Güterbahnhof, am Rande eines riesigen Fabrikgeländes. Dort lagerten sich die Menschengestalten auf Bündeln und Koffern. Holt ging mit Frau Ziesche die Chaussee weiter nach Westen. Es war drei Uhr.
    Die letzten Kilometer mußte er sie fast tragen. Dann schleppte er sie die Treppe hoch. Auch seine Kraft ging zu Ende. Er legte sie auf ihr Bett, zog ihr den verbrannten Mantel aus und deckte sie zu. Sie hielt die Augen geschlossen. Ihre Zähne schlugen aufeinander. Er ging ins Bad. Sie rief schwach: »Bleib hier!« Er sah in den Spiegel. Das Gesicht war blutverschmiert, Stirn und Kinn waren zerschunden. Die Hände brannten wie Feuer, als er sie ins Wasser tauchte, auch Hals und Gesicht. Das Haar war versengt, die Uniform von Funkenlöchern zerfressen, die Überfallhosen an den Knöcheln verkohlt.
    Er ging wieder ins Schlafzimmer und setzte sich, von Schwäche übermannt, zu ihr aufs Bett. »Du wirst sofort abreisen?« Sie sagte tonlos und ohne die Augen zu öffnen: »Ja.« – »Weißt du,

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