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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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gegenüberliegenden Ecke schlief das Kind.
    Ein furchtbarer Schlag, der Keller erbebte, ein zweiter Schlag, dann ein dritter, so gewaltig, daß Holt die Erschütterung der Kellerwand in seinem Rücken fühlte. Ein Windstoß fegte durch den Gang. Holt hörte Frau Ziesches Stimme dicht an seinem Ohr, stammelnd: »O heilige Maria … Mutter Gottes … unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir …« Vom Kellereingang her kreischte eine Stimme: »Es brennt!« Barsches Geschrei, das schon unterging: »Alle Männer …« und: »… zum Löschen!« Holt wolltesich erheben, aber Frau Ziesche klammerte sich an ihm fest, sie schrie: »Es brennt … ich will raus … Ich will raus hier!« Wahnsinn, dachte Holt, Wahnsinn; er hörte Wolzows Stimme: »Die Schweine … Sprengbomben in die Flammen …« Da traf ihn ein Stoß mit solcher Wucht, daß sein Kopf gegen die Mauer schlug, das Licht verlöschte, das Leben setzte aus, Holt rang nach Luft, und er hustete, hustete …
    Es dauerte lange, ehe er die Taschenlampe fand. Der Lichtstrahl prallte auf eine undurchdringliche weiße Wand von Kalkstaub. Holt stieß Frau Ziesche von sich, erhob sich, trat auf einen Körper, trat darüber hinweg, tastete nach rechts, trat auf Schutt. Sein Kopf stieß gegen etwas Hartes, das war die heruntergebrochene Kellerdecke. Er hustete noch immer, aber der Kalkstaub setzte sich. Verschüttet! Holt wollte schreien, der qualvolle Hustenreiz hinderte ihn. Endlich bekam er Luft, nun zwang er die Panik nieder, aber die Gedanken flatterten. Der Staub wurde durchsichtig. Holt überblickte im hin und her huschenden Lichtkegel der kleinen Taschenlampe die Ecke des Kellerganges, in der sie eingeschlossen waren. Die kaum bezwungene Panik jagte zusammenhanglose Worte durch seinen Sinn: … in einsamer Nacht und auf verlorenem Posten … Der Greis richtete sich stöhnend vom Boden auf. Das kleine Mädchen würgte und zog mit pfeifendem Ton die Luft in die Lungen, als habe es Keuchhusten. Aus dem Schutt ragten zwei Beine in blauen Schihosen. Frau Ziesche hustete und rang nach Luft … und geht’s ans Sterben, ich bin dabei … Er dachte: Ich muß … ich muß … Und immer wieder: Ich muß! Er dachte: Gleich kommt das Wecksignal … Er dachte:
Der Mauerdurchbruch!
    Er wischte sich über die Augen, in denen der Kalkstaub wie Säure brannte. Er packte Frau Ziesche am Arm und zog sie hoch, sie wollte sich an ihm festhalten, er stieß sie nach hinten, daß sie auf den Schutt fiel. Er schob den Greis hinter sich, er schob das kleine Mädchen hinter sich. Dann nahm er die Holzbank, auf der sie gesessen hatten und rammte sie gegen den Mauerdurchbruch. Vergeblich. Er konnte nicht weit genug ausholen, immer wieder stieß er zu, das Sitzbrett spaltete der Länge nach auf. Er ließ dieBank fallen und schlug mit den Fäusten auf die Ziegelsteine. Er keuchte, er trat mit dem Fuß gegen das Mauerwerk. Er brüllte überschnappend: »Hilfe!« Er warf das volle Gewicht seines Körpers gegen den Durchbruch, er fiel nach vorn und schlug mit dem Gesicht auf kantige Steine, es rasselte, es knisterte in den Ohren, er stöhnte vor Schmerz. Dann lag er bewegungslos und atmete tief.
    Als er aufstand, fielen Steine von ihm ab. Er hielt die Taschenlampe noch in der Hand, aber sie brannte nicht mehr. Er schüttelte sie. Nun flammte sie auf. Vor ihm lag ein langer, leerer Kellergang. Weit vor ihm glühte rotes, zuckendes Licht. Sie sind hier längst raus, dachte er, und dachte: Fliehen! Er hörte hinter sich das hemmungslose Geschrei Frau Ziesches. Er kletterte durch das Mauerloch zurück in den verschütteten Keller, hob sie auf und herrschte sie an: »Still! Still doch!« Ihr Gesicht war verzerrt und entstellt. Er nahm das Kind wie ein Bündel unter den Arm. Frau Ziesche schrie: »Hilf mir … Hilf mir doch! Laß das Kind!« Er mußte sie wieder abschütteln, ehe er mit dem Kind in den Nachbarkeller hinüberklettern konnte. Dann half er Frau Ziesche, dann auch dem Greis. Frau Ziesche hielt sich krampfhaft an ihm fest, er zog sie gewaltsam den Gang entlang. Am Fuß der Treppe lag viel weggeworfenes Gepäck. Oben flammte gelbrote Glut durch das Viereck der Haustür. Ein starker Luftzug strich über ihn hin. Draußen heulte der Feuersturm. Frau Ziesche schrie: »Ich will nicht ins Feuer … ich will nicht!« Holt sah sich verzweifelt nach einem anderen Ausgang um, es mußte ihn geben, denn es gab diesen fauchenden Luftstrom, aber er hörte über seinem Kopf ununterbrochen Mauerteile

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