Abenteuer des Werner Holt
zu. »Was ist denn los! Das ist doch Unsinn! Wollen Sie Ihre Kräfte nicht zur Verteidigung der Hauptstadt ansetzen?« – »Wo steht denn geschrieben, daß ich meine Hauptstadt unbedingt decken muß, Herr Leutnant? Da werden Sie aber auch nicht eine Literaturstelle finden. Das kann ich doch machen, wie ich will! Ich hab eine starke Garnison dort, die wird natürlich alarmiert.« – »Und wollen Sie mir nicht den Flußübergang verwehren? Das ist doch die letzte Barriere vor Ihrer Hauptstadt!« – ›Ich werd doch nicht wegen so einem bissel Flußsand meine besten Divisionen opfern!« sagte Wolzow. »Hier, hinter meiner Hauptstadt, stell ich ein schwaches Korps auf, das kann jederzeit zur Verstärkung der Besatzung eingesetzt werden. Ich erklär meine Metropole zur Festung, die müssen Sie belagern, Herr Leutnant!« Wehnert zog seine Panzerspitzen bis an den Fluß. »Ich kämpfe mir den Flußübergang frei und setze über.« – »Bitte!« sagte Wolzow. »Ziehen Sie gegen die Hauptstadt, das kann mich gar nicht irre machen. Ich marschier in Ihrer Nordflanke auf, mit der Hauptmacht meiner Panzer- und Infanteriedivisionen, da wolln wir doch mal sehn, ob Sie wagen, weiter vorzugehn!«
Nun überlegte der Leutnant, verblüfft über die Wendung, die das Spiel nahm. Wolzow fuhr fort: »Wenn ich Ihnen meine Panzerdivisionen überstürzt in den Weg werfe, werde ich geschlagen und bin erledigt. So haben Sie sich das nämlich gedacht.«
Der Leutnant schwieg noch immer betroffen. »Aber daß Sie mir einfach den Weg freigeben, ist das nicht gegen alle Regeln?« – »Regeln, was man darf und was man nicht darf«, erklärte Wolzow großsprecherisch, »gibt es in der Strategie überhaupt nicht. Grundprinzipien, ja, aber sonst gilt nur eins: das jeweils Bestmögliche zu tun. Moltke hat die Strategie ein System von Aushilfen genannt. Bis Moltke hat es geheißen: Ein Feldherr muß als wichtigstes seine Basis sichern, muß Flanken und Rücken decken, muß seine Kräfte zusammenhalten, soll vor der Schlacht Masse bilden, soll vordringlich auf die feindliche Hauptarmee marschieren … Ein Feldherr soll und ein Feldherr muß und so weiter, daswaren im neunzehnten Jahrhundert unumstößliche Gesetze. Moltke hat gegen alle diese Gesetze verstoßen und hat trotz dieser Riesenfehler gesiegt. Da hat schon Schlieffen die Frage gestellt: War das bloß Glück? Es war mehr. Es war eben Moltkes System von Aushilfen.«
»Gut, gut«, sagte Wehnert. »Jetzt muß
ich
also eine Aushilfe finden. Sie sollen sich verrechnet haben, daß ich Sie dort in Ihrer Bombenstellung angreife. Ich lasse Ihren Aufmarsch in meiner Flanke stehen, natürlich drehe ich Teilkräfte nach Norden ein, im übrigen stoße ich weiter auf Ihre Hauptstadt und beginne sofort mit der Belagerung. Holt, rücken Sie mal die ersten acht Abteilungen heran!« Wolzow überlegte. Dann zog er seine Panzer im Bogen nach Osten. Wehnert sagte: »Ja … aber …« – »Ging heut schnell, was? Sehn Sie, was jetzt passiert?« Wehnert starrte auf den Sandkasten. Sein Gesicht rötete sich. »Ich bin aber doch stark genug, um einen Stoß in den Rücken aufzufangen! Ich beziehe hier in der Hügelgegend mit starken Teilkräften eine feste Rückenstellung.«
Wolzow grinste ungeniert. »Überall starke Teilkräfte! Teilkräfte drehen nach Norden ein, Teilkräfte beziehen eine Hügelstellung, Teilkräfte belagern meine Hauptstadt; und mein Panzerkorps, Herr Leutnant, das schick ich jetzt auf Urlaub, für Ihre Teilkräfte reicht meine Garnison! So will Moltke ja nun auch nicht verstanden sein! Ihre Teilkräfte überrenn ich, wo ich will!« Wehnert sah verblüfft auf Wolzow, der nun fragte: »Darf ich was Grundsätzliches sagen? Ihnen schwebte so etwas wie Cäsar bei Alesia vor. Die Deckung einer Belagerung gegen Entsatzheere ist eine der schwersten Aufgaben für den Feldherrn, dabei ist schon vielen großen Männern eine Pleite passiert, und gelungen ist es nur wenigen.« Er zog sein Taschenbuch. »Erstmalig wurde das Problem von Cäsar gelöst. Als die Gallier mit Übermacht den Vercingetorix entsetzen wollten, gab er die Belagerung Alesias nicht auf, sondern schloß sein Belagerungsheer selbst mit Wall und Graben ein. Moltke hätte das eine geniale Aushilfe genannt. Ob so was heute überhaupt noch möglich ist, das ist sehr fraglich. Immerhin ist es den Russen bei Stalingrad gelungen, Mansteins Entsatzversuchabzuweisen, ohne die Belagerung aufzugeben. Aber der Wunsch, bereits errungene Vorteile
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