Abenteuer des Werner Holt
mochte seine Meldung noch nicht an den Bann geschickt haben. »Der Meißner«, erzählte Wiese unter anderem, »liegt im Krankenhaus und konnte nicht einrücken. Er ist beim Klettern am Rabenfelsen abgestürzt. Aber man munkelt, daß ihn der Verlobte von der rothaarigen Suse so verdroschen hat, weil er immer hinter ihr her war.« Holt verzog das Gesicht, er fühlte sich erleichtert.
»Der Duce ist zurückgetreten«, erzählte Wiese nun. »Er hat Badoglio zu seinem Nachfolger ernannt. In einem Aufruf hat Badoglio erklärt, daß der Krieg weitergeht. Im Rundfunk hat es geheißen, das deutsche Volk nimmt diese Erklärung zur Kenntnis.« – »Komisch«, sagte Holt befremdet, »verstehst du das?« Peter Wiese hob die Schultern. Später sagte er: »Sie haben eine Woche lang ununterbrochen Hamburg bombardiert, jede Nacht.« Holt dachte flüchtig an seine Verwandtschaft und hörte Wieses Stimme: »Es soll grauenhaft sein … der Phosphor … furchtbare Wunden. Körper zu schwarzen Strünken verbrannt …«
Er nächtigte am Fluß. Er dachte: Vielleicht werden wir an einem solchen Brennpunkt des Luftkrieges eingesetzt … Am Morgen holte er die Nachtangeln ein und trat mit ein paar kleinen Aalen den Rückmarsch an.
Das Leben war anstrengend. Jeder Tropfen Wasser wollte in einer halsbrecherischen Klettertour vom Bach heraufgeholt sein. Holt und Gomulka durchstreiften die Wälder. Sie erbeuteten Hasen und Wildhühner. Bei den ausgedehnten Pirschgängen freundeten sie sich mehr und mehr miteinander an.
Wolzow hatte einen Tag lang das Forsthaus belauert, und nun saß er vor der Höhle und dachte über einen Feldzugsplan nach. Wenn Holt das bevorstehende Abenteuer einfiel, vertiefte sich seine Sorge. Aber er sprach zu keinem davon, auch nicht zu Gomulka, während er mit ihm im Walde am Feuer nächtigte. Erüberlegte hin und her. Wenn Wolzows Plan mißlang, oder wenn sie hinterher gefaßt wurden, dann konnte sie keiner, auch nicht Wolzows Onkel mit seinen weitreichenden Verbindungen, vor Strafe bewahren. Es galt also, einer solchen Strafe vorzubeugen. So reifte der Gedanke heran, bei Wolzows Onkel rechtzeitig und vorerst heimlich Rückendeckung zu suchen.
Er traf sich wieder mit Wiese. Nun wurden sie in der Stadt vermißt. Die Polizei, erzählte Wiese, habe bei einigen Mitschülern angefragt, ob sie etwas von einem Urlaubsreiseplan der fünf wüßten. Offenbar forschte man erst bei den Verwandten der Jungen nach, denn den Erkundigungen der Polizei, so meinte Wiese, fehle der richtige Nachdruck … Der Rechtsanwalt Gomulka, zum Beispiel, vermutete Sepp bei seinem Bruder, der als Zahnarzt in Dresden lebte und zur Zeit irgendwo in einem Wochenendhaus den Sommer verbrachte. Holt kehrte diesmal ziemlich beruhigt zum Lager zurück.
Am Abend saßen sie am Feuer und unterhielten sich. Vetter schwätzte: »Früher gab es eine richtige Seeräuberrepublik im Atlantik. Ich hab mal davon gelesen, die hießen Fli-bus-tier. Das wär was für mich gewesen. Da hätte meine Sippe mal versuchen sollen, mich immerfort zu hauen!«
Holt erhob sich. Er hörte nicht auf Vetters Gerede. Seit er hier in den Bergen hauste, war die Erinnerung an Uta Barnim nicht verblaßt. Jetzt war sie so stark, daß er Block und Füllfederhalter aus dem Rucksack kramte und im Schein des Feuers einen Brief an sie schrieb, verworrene, ungestüme Zeilen. Als er sich wieder mit Wiese traf, gab er ihm den verschlossenen Umschlag. Dann wartete er ungeduldig auf das nächste Zusammentreffen am Fluß. Und da Wolzow nun eifrig den Einbruch ins Forsthaus vorbereitete, verdichtete sich Holts Gedanke, mit Utas Unterstützung Wolzows Onkel zu Hilfe zu rufen.
Am Fluß, bei dem verabredeten Treffpunkt, badete er in einem verschilften Wasserarm. Dann warf er die Angelschnüre aus und fing ein paar Barsche. Er trug eine Handvoll Kartoffeln bei sich, entzündete ein winziges Feuer und legte sie rings um die Flammen. An einem Holzstecken hielt er unterdessen einen der Barscheüber die Glut. Als er gegessen hatte, legte er für die Nacht die großen Aalhaken. Erwartungsvoll saß er am Feuer, rauchte eine Zigarre und blickte über den Teich, der still und bewegungslos in der Abendsonne lag. Endlich kam Wiese.
Er reichte Holt eine Zeitung. Holt überflog hastig die Notiz. »Fünf Oberschüler zwischen sechzehn und siebzehn Jahren … Verschwinden erst sehr spät bemerkt … Ernteeinsatz der HJ … Wie der Leiter des Kommandos angab, schon nach wenigen Tagen desertiert …
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