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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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schob eine Patrone in den Lauf. Dann standen sie bei dem verendeten Wild. Der Hirsch hatte im Todeskampfmit dem starken Geweih den Boden zerwühlt und lag nun auf der Seite. Gomulka zählte die Enden. »Zwölf«, sagte er, »also ein guter, ein jagdbarer Hirsch … Und weidgerecht erlegt … Er hätte uns auch verludern können, wo wir keinen Hund haben!« Das erste Geschoß war hinter dem Schulterblatt in die Flanke gedrungen. Das zweite hatte den Hals dicht unterhalb des Kopfes durchschlagen. »Ich hab’s vorhin gleich gewußt, daß ich gut abgekommen bin«, sagte Gomulka zufrieden, »er ist mir richtig in die Kugel hineingesprungen …« Holt lief zurück und holte den Hasen. Dann schleppten sie den Hirsch tiefer in den Wald zwischen das Eichengebüsch. »Das sind gute zwei Zentner, ein schönes Gewicht!« – »Der Jäger sagt niemals ›schönes Gewicht‹ beim Hirsch«, verbesserte Gomulka. »Es heißt gut, prächtig oder brav, auch beim Geweih. Und wer sich gegen die Weidmannssprache vergeht, wird zur Strafe über einen jagdbaren Hirsch gelegt und erhält drei Pfunde mit dem Blatt.« – »Was, wie?« fragte Holt. – »Drei Schläge mit dem Weidmesser. Dazu sagt der Oberjägermeister beim ersten Pfund: ›Jo ho, das ist für meinen gnädigen Fürsten und Herrn!‹ Beim zweiten: ›Jo ho, das ist für Ritter, Leute und Knecht!‹ Und beim dritten: ›Jo ho, das ist das edle Jägerrecht!‹«
    Holt lachte. Aber sie konnten sich nicht entschließen, die Beute zu zerteilen. »Hast du schon mal ’n Hirsch aus der Decke geschlagen? Das schaffen wir nicht. Wir müssen ihn wegschleppen.« Sie vergruben das Blut am Waldrand und im Gebüsch, fällten eine junge Tanne und zogen den Stamm durch die zusammengebundenen Läufe. »So geht es«, meinte Gomulka. »Im Krieg werden wir manchmal noch schwerer schleppen«, sagte Holt.
    Gomulka entzündete ein kleines Feuer. Sie brieten den Eichelhäher über der offenen Flamme, und da er kaum größer als eine Taube war, spießten sie auch den Hasen auf einen Stecken und ließen ihn über der Glut schmoren.
    Es war Nacht. Holt breitete seine Zeltbahn aus und legte sich nieder, den Kopf gegen den Hirsch gelehnt. Gomulka hockte ihm zur Seite und versorgte das Feuer. Die Flamme zischte, wenn das Fett in die Glut tropfte. Zwischen den Wipfeln der Bäume stand Stern an Stern.
    Holt schaute in den Himmel, wie vor ein paar Tagen, am Fenster einer fremden und dunklen Kammer, in jener Nacht. Eigentlich hab ich sie längst vergessen. Und wenn ich zurückdenk, dann seh ich ein anderes Gesicht … »Du hast da vorhin was gefragt«, sagte er. »Ich hab es gar nicht gewollt, dort im Gasthof. Ich wollte es; aber ich wollte es nicht so! Und doch hätte ich mich mein Lebtag einen Feigling genannt. Ich weiß bis heut noch nicht, ob ich mich schämen muß.«
    Gomulka stocherte mit einem Ast in der Glut. »Ich hab früher gedacht, es könnte wie in den Büchern sein«, fuhr Holt fort. »Alles aus Liebe und so. Wie bei Novalis. Kennst du das? Sie ist eine Königstochter, die Schönste im Land, und er ist ein ganz armer Hund, ein Dichter, der mit seinem Vater im Wald lebt; der Vater ist kolossal gelehrt, so’n halber Weiser. Die beiden lieben sich heimlich. Eines Tages gehn sie spazieren, und da kommt ein Unwetter, und sie müssen in eine Höhle flüchten, wo’s dann auch prompt passiert, aus Liebe natürlich. Aber sie traut sich nicht mehr zum König ins Schloß und bleibt bei dem weisen Mann und seinem Sohn. Der König läßt das ganze Land absuchen, umsonst. Nach einem Jahr bringt sie der junge Mann dann nach Hause, da hat sie ’n Baby, und der Dichter hat aus der Geschichte ein Lied gemacht und singt es dem König vor. Der ist ganz unbeschreiblich gerührt, und er verzeiht ihnen. Ich finde so was schön. Aber die Wirklichkeit ist ganz anders.«
    »Gib mal das Salz her«, sagte Gomulka. »Hast du solche Gedanken öfter?« Er nahm den Hasen vom Feuer, teilte ihn und reichte Holt einen Fetzen des dampfenden Fleisches. »Ich bin gespannt«, sagte Holt, während er mit den Zähnen das Fleisch von den Knochen riß, »ob es im Leben mit allen … Idealen so ist wie mit Novalis und der Wirklichkeit. Liebe, das hat mich immer ganz feierlich gestimmt. Aber es ist gar nicht feierlich, es ist … ganz anders. Mir ist auch immer so erhaben zumut, wenn ich die Morgenfeiern der HJ im Radio hör, am Sonntag. Neulich hab ich von den jungen Kriegsfreiwilligen gehört, von diesem berauschenden Hochgefühl der

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