Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
Vom Netzwerk:
es!«
    Auf der Straße liefen Eltern und Verwandte zum Bahnhof voraus. »Nichts in der Welt bringt mich je wieder in ein Schulhaus!« sagte Wolzow. Der scharfe Pfiff einer Trillerpfeife gellte über den Platz. »Achtung! In Linie … angetretenmarschmarsch!« Das war Otto Barth. Und am Bahnhof wartete Uta.
    Holt marschierte in der Kolonne, singend: »Wir werden weitermarschieren, wenn alles in Scherben fällt …« Es war nicht weit bis zum Bahnhof. Der Zug lief ein. Endlich konnte sich Holt absondern. Er suchte. Weit abseits von der Menge stand sie vor der dunklen Ligusterhecke, die Vorplatz und Bahngelände schied.
    Er sagte: »Ich hab’s nicht abwarten können, daß es losgeht. Jetzt möcht ich bei dir bleiben.« – »Das würde dir bald langweilig werden, wenn’s immer so bliebe«, antwortete sie, aber sie sah an ihm vorbei.
    Die Lok pfiff, der Zug ruckte an. Ihr Händedruck ließ eine kleine Pappschachtel in seiner Rechten zurück. Er riß sich los. Über die Hecke, über die Geleise sprang er zum anfahrenden Zug. Gomulka zog ihn in den Wagen.
    Jemand brüllte den Gang entlang: »Sondermeldung! Die Fallschirmjägerhaben den Duce befreit!« Holt nahm diese Worte wahr, ohne sie zu verstehen.
    Im Schneckentempo kroch der Zug durch die Berge. Holt blieb auf dem Gang. Neben ihm, steif und unbeweglich, stand Gomulka.
    Holt öffnete die kleine Schachtel. Auf schwarzem Samt lag ein Kettchen, ein ziseliertes goldenes Kreuz. Er las mühsam die winzige Gravierung, die Jahreszahl 1692, und altertümliche Schriftzeichen: »Die Lieb ist unser Gott, es lebet alls durch Liebe. Wie seelig wär ein Mensch, der stets in ihr verbliebe.« Dies war als einziges von ihr geblieben. Und Erinnerung.
    Vor dem Fenster zog das Gebirge vorbei; tief unten schimmerte das Band des Flusses. Mit wachsender Geschwindigkeit rollte der Zug zu Tale. Holt riß die Abteiltür auf und drückte sich in eine Ecke. Im Einschlafen hörte er Vetter sagen: »Jetzt sind wir frei wie diese Fli-bus-tier!«

Erstes Buch
    1
     
    Die Stadt war bestürzend fremd. Die Kulisse der Berge fehlte; nur Hügel zogen sich am Horizont hin. Betreten, unlustig und niedergedrückt sammelte sich die Klasse vor dem Bahnhof, einem nüchternen Backsteinbau, über dessen flachem Dach die Nachmittagssonne stand.
    Im Einberufungsbefehl hieß es: »Schwere Heimatflakbatterie 107/III, Großkampfbahn.« Das klang geheimnisvoll. Wolzow fragte einen Passanten. Großkampfbahn? Es war außerhalb der Stadt, sehr weit draußen, ein Sportstadion. »Da siehst du’s«, sagte Holt zu Gomulka. »Was habe ich mir nicht alles darunter vorgestellt! Und nun ist es ein Fußballplatz.« Warum kümmert sich keiner um uns? dachte er. Noch nie hatte er seine Heimatlosigkeit so deutlich empfunden wie nach dem Abschied von Uta. Wolzow erklärte: »Unaufgefordert tu ich keinen Schritt. Die wissen ja, daß wir kommen!« Um ihn scharten sich Holt, Gomulka, Vetter und Zemtzki, auch Rutscher, Weber, Branzner, Kirsch, Glaser, Gutsche, Kattner, Moebius, Schachner und Thiele. Die anderen, Nadlers Gefolgschaft, Schenke, Schönfeldt, Schulz, Götze, Grubert, Hampel, Kieback, Klein, Kuhlmann, Ebert, Kunert und Schlemm, erklärten wie auf Verabredung, es sei besser, zur Batterie hinauszumarschieren. Nadler, die grüne Führerschnur an der Uniform, ließ antreten, und die kleine Kolonne verschwand um die Ecke.
    »Laß sie doch gehn, die Speichellecker, die verdammten!« sagte Wolzow mit einer wegwerfenden Handbewegung. Er überlegte. Dann ging er in eine Telefonzelle.
    Holt saß bei seinem Glas Bier und hörte nicht auf das Gesprächder anderen. Der Abschied war noch nicht verwunden. Keiner wußte, was kam … Schon war der Bruch da. Nur Wolzows Faust hatte die Klasse zusammengehalten. Was hier an den Tischen saß, das waren auch bloß Statisten, die vorläufig Wolzows Macht vertrauten und doch sofort ins andere Lager überlaufen würden, wenn es der Vorteil verlangte. Auf Gomulka ist Verlaß, dachte Holt. Der wird sich nie von mir und Gilbert lossagen. Auch Vetter nicht, der hängt an Gilbert wie ein Hund. Und Zemtzki? Wer weiß?
    Wolzow setzte sich zu Holt. »Das wär geschafft. In einer halben Stunde ist ein Lastwagen hier.« Er erzählte. Da sei ein Mädchen am Telefon gewesen, er habe es sehr wichtig gemacht, mit »Transportleitung und so«. »Sie hat mich ›Herr Leutnant‹ angeredet.« – Angeredet? Hoffentlich geht’s gut aus!
    »Da wern die andern aber giften!« rief Vetter.
    Gomulka spielte nachdenklich

Weitere Kostenlose Bücher