Abenteuer des Werner Holt
mit einem Bierdeckel. »Wir müssen uns vorsehen, sonst ziehn wir den kürzeren! Zu Hause konnten wir notfalls sagen, laßt uns in Ruh, in vier Wochen geht’s zur Flak … Aber hier …?«
Wolzow knallte das Bierglas auf den Tisch. »Ich werde ein erstklassiger Soldat, das steht fest.«
Draußen warf die Sonne nun schon lange Schatten über den Platz. Ein graugestrichener Lastwagen klapperte um die Ecke. Aus dem Führerhaus sprang ein Soldat, am Kragen die roten Spiegel der Flakartillerie, auf dem Ärmel einen Gefreitenwinkel. »Ich soll hier ’n Leutnant Wolzow und siebenundzwanzig Mann abholen.«
Wolzow tat erstaunt. »Da muß sich das Fräulein verhört haben!« Der Gefreite schaute mißtrauisch. »Los … rauf!« Sie warfen das Gepäck auf den Wagen. Wolzow und Holt stiegen vorn ein. Zu dritt saßen sie auf der harten Sitzbank.
Die Stadt zeigte enge, winklige Gassen, kopfsteingepflastert, und der Wagen rumpelte und holperte, ehe er die lange Chaussee zwischen Lauben und Schrebergärten hinausrollte. Der Gefreite saß stumm und mürrisch hinter dem Lenkrad. Wolzow kramte eine Handvoll Zigarren hervor. Der Gefreite schob sie gleichmütig in die Brusttasche. Nun taute er auf.
»Wie ist’s da draußen?« fragte Wolzow. »Schieben ’ne ruhigeKugel«, antwortete der Gefreite, der höchstens neunzehn Jahre alt war. »Ist ja nischt los hier!«
Der Wagen hatte eine Anhöhe erklommen. Das Gelände lag weit und offen vor ihnen. Verdrossen marschierte Nadler mit seinen Leuten den Weg entlang. »Fahr weiter!« befahl Wolzow. Der Gefreite gab Gas. Enttäuschtes Geschrei blieb hinter ihnen zurück. »Verdammte Radfahrer«, sagte Wolzow. Der Gefreite antwortete nicht.
Weit vor ihnen, auf der Anhöhe zwischen Wiesen und Äckern, zeichnete sich das Oval des Sportstadions ab und ein vielstöckiges, hohes Tribünengebäude.
Auf dem flachen Dach waren ein paar winzige, graue Gestalten erkennbar und ein großes, von einer Plane überdecktes Gerät.
»Sieht aus wie’n Horchgerät, nicht?« sagte Holt.
»Horchgerät?« Wolzow schnob durch die Nase. »Quatsch! Erstens heißt das Ringrichtungshörer, zweitens benutzt so’n Ding heut keine Sau mehr. Das ist ein Funkmeßgerät.« – »Fu-MG sagen wir«, meinte der Gefreite. Der Wagen bog von der Chaussee in einen breiten, mit Schlacke bestreuten Fahrweg. Sie näherten sich dem Stadion.
Hier, auf der Anhöhe, schien noch hell und gleißend die Abendsonne und blendete Holt. Genauso hatte das Licht die Landschaft überflutet, als er mit Uta durch den Wald gegangen war … Vor vierundzwanzig Stunden!
»Wir sind gleich da«, sagte der Gefreite.
Holt sah ein paar Baracken. Jenseits des Stadions, auf dem blanken Acker, erhoben sich im Kreis um eine größere Erdaufschüttung sechs graue Hügel. Der Gefreite hielt vor einer der Baracken. »Raus!« Sie sahen dem davonklappernden Wagen nach. Niemand kümmerte sich um sie.
»Wird schon stimmen!« sagte Wolzow. Er trat als erster durch die Barackentür. Ein schmaler Korridor und zwei einander gegenüberliegende Türen, zwei große Stuben, mit Doppelbetten und Spinden eingerichtet, unbewohnt, verdreckt und unordentlich. »Schlimmstenfalls müssen wir umziehen. Aber rumstehen demoralisiert.« Wolzow beschlagnahmte die Stube, die nach Süden lag.
Holt hatte sich ein Bett am Fenster gesichert, oben, weitab von der Tür, durch ein paar Spinde gegen Sicht gedeckt. Wolzow belegte das Bett daneben, Gomulka begnügte sich mit der unteren Lagerstatt. Der Unrat, der überall in Haufen herumlag, deprimierte Holt. Aber Wolzow nahm das Heft in die Hand. »Los, erst mal weg mit der Sauerei! Ich will mal sehn, ob ich einen Besen organisieren kann!«
Es war mäuschenstill in der Stube, aber Wolzow konnte nicht sehen, daß da ein stämmiger Mann von vielleicht fünfunddreißig Jahren breitbeinig in der Tür stand, das Käppi schief auf dem Kopf, die blaue Uniform voller Silber. Die Jungen glotzten ihn mit aufgerissenen Augen an. Holt versuchte, Wolzow ein Zeichen zu geben, aber hinter den Spinden brüllte es ungehemmt weiter: »Saustall! Da müssen ja Hottentotten drin gehaust haben!« Dann erst sah Wolzow, daß jemand in die Stube getreten war.
»Gar nicht schlecht«, sagte der Fremde. »Hottentotten ist wirklich nicht schlecht!« Er trat zwischen die Spinde, sein Blick ging über die Jungen hinweg und blieb an Kirsch hängen. »Name?«
Kirsch würgte das Brot hinunter, an dem er kaute, versuchte den Stern auf den silbergeränderten
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