Abenteuer des Werner Holt
Holt eintreten sah. »Sepp hat grad von dem Hirsch erzählt!«
Holt sah sich um. Er begriff, daß man hier die Einberufung feierte, mit Schnaps … Das kam ihm recht. Sein Zorn über Uta war längst verraucht, er war nun todunglücklich.
Alles brüllte durcheinander. »Der Gilbert ist in die Schule gegangen, und zum Hausmeister hat er gesagt, aus’m Heizungskeller kommt Qualm! Da ist der in ’n Keller gelaufen, und Gilbert hat den Schlüssel genommen und ist in ’n Chemieraum.« – »Ich! Ich!« rief Zemtzki. »Ich war dabei! Der Gilbert hat die Spritflasche an einem Bindfaden auf ’n Hof runtergelassen, und ich bin damit über die Mauer!« – »Und ich«, erzählte Wolzow, »bin wieder zum Hausmeister und hab gesagt, da müßte ich mich wohl getäuscht haben, wenn aus dem Heizungskeller kein Qualm käm, aber vielleicht käm Qualm aus dem Keller unter der Turnhalle … Da ist der Kerl gleich wieder losgetrabt, und ich hab den Schlüssel wieder an ’n Haken gehängt und bin ganz gemütlich abgehaun!« – »Wir haben prima Li-kör gemacht, mit fünfzig Prozent!« sagte Vetter schwerfällig.
Holt setzte die Flasche an die Lippen. Das lauwarme klebrige Getränk brannte in der Kehle. Er nahm einen zweiten Schluck, einen dritten … Langsam wurde ihm brennend heiß, es wurde ringsum weit und hell … Wolzow schleppte Rotweinflaschen heran. »Trink, Werner!« Holt trank, alle tranken. Kummer und Zorn lösten sich. Zum Teufel mit Uta! Jemand brüllte: »Kameraden! Es geht los!« Holt trank aus der Rotweinflasche, das Leben war wieder leicht. »Nieder mit Badoglio!« schrie jemand. »Wir werden den F-f-führer nie im Stich lassen!« – »Niemals«, brüllte Holt, alle brüllten: »Niemaaaals!« Wolzows dröhnende Stimme: »Ein Wahrzeichen nur gilt: das Vaterland zu retten!« Das ist die Ilias, dachte Holt noch, und ganz fern und schwach dämmerte die Erkenntnis: Ich bin betrunken … Dann ging alles durcheinander: Stimmenlärm, Geschrei, Gelächter, zum Teufel mit Uta … Die Bilder überstürzen sich … die Halle in Wolzows Villa, eine Straße, Marktplatz, und Wolzow trägt einen langen, dünnen Kaktus im Knopfloch, einen Kaktus, das ist zum Totlachen … Zemtzki hatplötzlich einen Zylinder auf, wo hat er den Zylinder her? … Was grinsen denn die vielen Leute? … Um Gottes willen, der Bannführer. Und natürlich brüllt er, schert euch nach Hause … Wer faßt mich da am Arm? Wiese? Der ewige Miesepeter, Drückeberger … Was ist los? Betrunken? Na ja doch, ich komm ja schon!
Holt erlebte den traurigen Zustand zum erstenmal, und er lag am nächsten Tag wie betäubt in seinem Bett. Der Kopf schmerzte. Im Magen war ein übles, rebellisches Gefühl. Er fand sich nicht zurecht. Die Sonne schien von links ins Zimmer, also war es früher Nachmittag. Fräulein Dengelmann, Veronika, die Jüngere, den Kopf voll Lockenwickel, stand am Bett und brachte Tee. Sie zeterte: »So eine Schande … Mit sechzehn Jahren stockbetrunken! Und das ganze Stiegenhaus haben Sie vollgebrochen!« – »Raus!« sagte Holt schwach. »Ich bin krank …« – »Verkatert sind Sie!« sagte Veronika schadenfroh. »Sie solln rausgehn!« rief Holt. Dann war er allein und kostete den heißen Pfefferminztee. Bruchstücke der Erinnerung fügten sich zusammen. Was haben wir da bloß angerichtet!
Er stand auf. Wie bin ich ins Bett gekommen? Vor dem offenen Fenster machte er seine Kniebeugen; es klopfte.
Peter Wiese trat ein. »Wie geht’s dir?« fragte er.
»Danke …«, brummte Holt. »Mensch … Was ist gestern bloß passiert?« – »Ihr wart alle betrunken«, sagte Wiese mit leisem Vorwurf. »Auf dem Marktplatz seid ihr dem Bannführer in die Arme gelaufen. Er hat die Polizei holen lassen. Ich kam zufällig vorbei und hab dich grad noch wegbringen können, in dem Durcheinander hat’s keiner gemerkt.«
»Hab ich mich zu dir recht unverschämt benommen?« fragte Holt kleinlaut. »Es geht.« Wiese lächelte schwach. »Das Übliche. Drückeberger, Leisetreter, Miesepeter.«
»Tut mir aber wirklich leid«, sagte Holt. – »Schon gut.« Wiese langte in die Brusttasche. »Uta Barnim hat mich gebeten, dir einen Brief zu bringen.«
Holt trat zum Fenster und drehte Wiese den Rücken zu. »Lieber Werner«, stand da in einer energischen Handschrift, »ich habeSie gestern nicht kränken wollen, aber es war nicht recht, daß Sie gleich davongelaufen sind. Nun habe ich von Ihrer Einberufung gehört. Wenn Sie an Ihrem letzten Wochenende als
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