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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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Essen sagte sie übergangslos: »Was du von deinem Vater erzählt hast, interessiert mich. Er hat sich also lieber maßregeln lassen, statt an einer kriegswichtigen Arbeit mitzuwirken?«
    Er sah sie verwundert an. Ihre Stimme klang fremd und sachlich. »Solche Charaktere hätte es mehr geben müssen.«
    »Das versteh ich nicht«, sagte er.
    Um ihre Mundwinkel bebte es wieder wie Spott. »Was brauchst du nach Stalingrad
noch
, um aufzuwachen?«
    Er machte eine unwillige Kopfbewegung. Er zwang sich zur Ruhe. Dann sagte er wieder: »Ich versteh dich nicht … Und … Deutschland?« Er rief: »Was wird aus Deutschland?«
    Sie sah ihn lange an. »Vergiß, was ich sagte.« Sie schob den Teller von sich. »Vergiß es. Du mußt in den Krieg. Er kann noch lang dauern.« Sie sah durch ihn hindurch. »Die Wahrheit ist für euch zu schwer: es ist ja doch alles umsonst.« Ihr Blick faßte ihn verwirrend und streng. »Du mußt dieses Wochenende vergessen.« Sie zögerte. »Es kann sein, daß ich bald heirate. Also bitte. Vergiß alles.« Aber hingestoßen und liegengelassen zu werden, dagegen lehnte er sich auf: »Ich muß in den Krieg. Du zerrst mir den Boden unter den Füßen weg … Dann …«
    Sie faßte, in eigenartiger Geste, mit der linken Hand an den Hals und horchte hinter dem abgebrochenen Satz her.
    »Dann laß mich heut nacht zu dir«, sagte er.
    Sie erhob sich so ungestüm, daß auf dem Tisch Geschirr zusammenstieß.
    Er hörte im Obergeschoß eine Tür schlagen. Er saß verstört und frierend. Dann schloß er die Fenster und löschte das Licht.
    Es war totenstill im Haus. Er stand bewegungslos in seinem Zimmer.
    Er kämpfte um einen Entschluß.
    Er trat hinaus auf den Flur. Noch einmal blieb er sekundenlang stehen, vor der gegenüberliegenden Tür. Dann drückte er die Klinke nieder. Die Tür gab nach.
    Durch das geöffnete Fenster fiel schwaches Licht. Sie schlang beide Arme um seinen Nacken und zog ihn zu sich in die Dunkelheit. Aber er sah ihr Gesicht unter sich, die weitgeöffneten Augen. Das Zucken ihrer Mundwinkel verriet, daß er ihr Schmerz bereitete. Lust und Schmerz.
    Er blieb bei ihr, bis es hell wurde. Der heraufdämmernde Tag war nichts anderes als ein Lichtfleck zwischen zwei Nächten. Er nahm zum erstenmal mit vollem Bewußtsein den Anblick lebendiger Schönheit in sich auf, und sie verbarg sich nicht vor ihm.
    Doch ein anderes Bild, so unvermittelt, daß er sekundenlang erstarrt neben ihr lag, schlug in seine Gedanken hinein: Phosphor. Furchtbare Wunden. Körper zu schwarzen Strünken verbrannt.
    Er vergrub das Gesicht in ihrem Arm. Später hörte er sie sprechen: »Ich hab mich gegen dich gewehrt. Aber es soll so sein. Es ist Krieg. Wir wissen nicht, was kommt.«
     
    Auf den ersten Stuhlreihen in der Aula hatten die Schüler der Klasse VII Platz genommen, in HJ-Uniform. Holt saß in der dritten Reihe, hinter Wolzow, unter einem der spitzbogigen Fenster. Er war zu spät gekommen. Der Oberstudiendirektor hatte seine Rede schon begonnen. Holt hörte nicht zu. Wir sehen uns noch am Bahnhof! Er war aus dem Dogcart gesprungen und losgerannt. Wir sehen uns noch. Der Traum dauerte eine Stunde fort. Er sah noch einmal, wie der Gaul mit dem zweirädrigen Wagen durch die Felder stob. Mit geschlossenen Augen horchte er weiter zurück: Hab ich’s nun einmal getan, so will ich’s auch ganz tun!
    Man applaudierte. Nun dröhnten die Schritte benagelter Sohlen übers Parkett. Bannführer Knopf stieg auf das Rednerpult.»Kameraden!« Zemtzki, der eingeschlafen war, fuhr erschrocken hoch. Knopf hatte eine scharfe Kommandostimme. »In ernster Stunde ruft der Führer seine Jugend zum Einsatz … an der Ostfront ein tödlich angeschlagener Feind gigantische Anstrengungen unternimmt, den eisernen Würgegriff loszuwerden …« Vetter schneuzte sich laut, aber Wolzow fuhr auf ihn los: »Hör auf! Jetzt hat Disziplin zu herrschen!« – »… wie der Führer vor wenigen Tagen in seiner herrlichen Rede sagte … der Luftkrieg … technische und organisatorische Voraussetzungen sind im Entstehen, die Terrorangriffe endgültig zu brechen und auch zu vergelten! Bis dahin, Kameraden, ist es euch vergönnt, den deutschen Luftraum zu schützen!« Der Bannführer klirrte vom Podium herab und drückte jedem einzelnen die Hand.
    Am Ausgang standen die Lehrer beisammen. Doktor Zickel spuckte: »Kh-kh … kh! Ni wahr, wenn ich das so seh, das sin doch noch Kinder, ni wahr, kh … kh … daß die schon in ’n Krieg solln, e Jammer is

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