Abenteuer des Werner Holt
wahrnahm: »›… am Ende steht der Sieg … niemals verzagen … von hier hinausgehen mit der fanatischen Zuversicht … fanatischen Glauben … daß es gar nichts anderes geben kann als unseren Sieg!‹« Die Alarmglocke schrillte. Vetter riß fluchend die Fenster auf.
Am frühen Abend, wie üblich, kam Zemtzki nach Baracke Dora zu Besuch. Er war rasch zum stellvertretenden Gefechtsschreiber avanciert, und da er des Nachts die Ringleitung abhörte, die alle Batterien der Untergruppe miteinander verband, war er immer gut informiert. »Ich hab’s eben von der Untergruppe«, sagte er. »Die Handley Page Halifax, die Dienstag nacht runtergekommen ist, die ist den Jägern zugesprochen worden!« Vetter rief empört: »Den Jägern? So was!«
Während der letzten Zeit waren drei viermotorige Bomber in der näheren Umgebung abgestürzt. Jedesmal hatte es einen wüsten Streit zwischen den Batterien gegeben, doch Kutschera verzichtete darauf, Abschüsse für seine Batterie zu beanspruchen. Schmiedling erklärte es so: »Was unser Kmandeur is, der Major Behling, der kann unseren Chef net leiden.« Der Streit der Batterien erreichte in der Regel nur, daß die in der Nähe stationierten Jagdverbände ihre Ansprüche anmeldeten und den Abschuß zugesprochen bekamen.
Heute regte sich Wolzow auf. Er liebäugelte, wie alle, mit dem Flakschießabzeichen, das den schweren Batterien nach etwa sechs Abschüssen verliehen wurde.
»Es ist eine Gemeinheit!« piepste Zemtzki. Dann räusperte er sich und gab seiner Stimme einen möglichst tiefen Klang, denn Gottesknecht hatte ihm einmal »wegen unmilitärisch hoher Stimme« Nichtgenügend gegeben. »Ich war Dienstag nacht Flugmelder! Die Jäger waren seit einer Stunde abgeflogen, als die Halifax runterkam!« – »Eine himmelschreiende Sauerei ist das!« schimpfte Wolzow. Er zog sich aus und ging zu Bett. Laut Dienstplan wurde morgens halb sieben geweckt, aber je nach Dauer des nächtlichen Alarms durften sie länger schlafen. Meist holte sie der LvD, Luftwaffenhelfer vom Dienst, ein Oberhelfer, der dem UvD assistierte, gegen halb acht aus den Betten. Acht Uhr begann der Schulunterricht. Bis dahin mußten Betten gebaut und die Stuben aufgeräumt werden, sonst warf der UvD alles durcheinander.
Der Schulunterricht war eine Farce. Fast täglich wurde er vom Alarm gestört. Fünf Tage in der Woche fanden sich Lehrer einer Gelsenkirchener Oberschule morgens in der Batterie ein und unterrichteten jeden Tag drei Stunden lang ein anderes Fach. Dienstags war der sogenannte »Schultag«. Alle Luftwaffenhelfer der Batterie gingen zum Chemie- und Physikunterricht nach Gelsenkirchen; die Batterie war unterdessen nicht feuerbereit.
Wenn die Lehrer in den Wohnbaracken unterrichteten, quälte man sich über die drei Stunden hinweg und wartete auf das Klingelzeichen zur Gefechtsschaltung.
Den ersten »Schultag« hingegen hatten die Jungen aus Holts Klasse in der Gelsenkirchener Schule verbracht, aber nur aus Unkenntnis der Gebräuche. Die Oberhelfer fuhren zwar auch in die Stadt, schickten jedoch nur ein paar Mann in die Schule. Auch Holts Klasse betrachtete den Dienstag Vormittag nun als Feiertag. Man saß von neun bis eins im Café, wo man Orangeade zu sich nahm und mit den Freundinnen verabredet war, mit den Schülerinnen der Essener, Gelsenkirchener und Wattenscheider Mädchenschulen. Kutschera ließ an den Schultagen eine Anwesenheitsliste führen, die er von Zeit zu Zeit kontrollierte, und Branzner, der selbst nie den Unterricht versäumte, entschuldigte Holt und seine Freunde mit tausend Ausreden, von »krank« bis »unabkömmlich«. Sehr beliebt waren völlig unsinnige Entschuldigungen:»Holt muß heute den Rohrmantel waschen«, »Wolzow und Gomulka fehlen wegen zu hoher Gebrauchsstufe«.
Man hatte ein kleines Café in Gelsenkirchen ausfindig gemacht, »Café Italia«, an der Rotthausener Straße, nach Essen hinaus. Ringsum lag alles in Trümmern. Das Café hatte bisher alle Bombennächte überlebt. Es gab, zu Wolzows Freude, sogar ein Billard. Man nahm auch Verbindung mit einer Mädchen-Oberschule auf. Unter den siebzehnjährigen Schülerinnen – die jüngeren Jahrgänge waren evakuiert – gehörte es zum guten Ton, mit einem Luftwaffenhelfer befreundet zu sein. Sogar Vetter fand Anschluß und ließ zweideutige Spötteleien über sich ergehen, denn das Mädchen, das ihn auserkoren hatte, war dürr wie ein Haselstecken. Auch Wolzow saß eines Tages mit einer üppigen Blondine zusammen und
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