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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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Oberhelfer an: »Mensch, wenn Sie schon Schmu machen, dann so, daß man mich nicht mit dem Salat belästigen kann!«
    Ziesche hatte sich abends bei den Hamburgern in Baracke Berta herumgetrieben und sagte: »Da habt ihr euch was eingebrockt! Die sind vor Wut außer sich!« Vorsichtshalber gingen Holt, Wolzow und Gomulka nur noch zu dritt durch die Stellung.
     
    Holt hatte Ausgang. Es war ein Samstag. Er fuhr mit der Straßenbahn nach Essen. Vielleicht treff ich ein paar von den Mädchen, dachte er und bummelte, den Stahlhelm am Arm, die Kaiserstraße entlang. Die Menschen hatten es eilig. Das macht der ewige Alarm, dachte er. Ein paar HJ-Führer, die ihm begegneten, übersah er, aber einen Major der Panzertruppe mit dem Deutschen Kreuz in Gold grüßte er ehrfürchtig. Dann blieb er vor einem Kino stehen. »Der große König«, von Veit Harlan, auf den Bildern Gustav Fröhlich und Kristina Söderbaum. Reichswasserleiche, dachte er.
    Er sah einen Luftwaffenhelfer an der Seite eines zierlichenMädchens vorübergehen. Das ist doch Ziesche! dachte er, und er beschleunigte seine Schritte, überholte die beiden und grüßte.
    Es war kein Mädchen, was der blonde, etwas gedunsene Ziesche am Arm führte, es war eine dunkelhaarige Frau von vielleicht fünfundzwanzig Jahren. Sie wandte Holt ein schmales, mädchenhaftes Gesicht zu und sah ihn aus dunklen Augen fragend an, ehe sie mit einem Kopfnicken seinen Gruß erwiderte. Sie standen mitten auf dem Gehweg, und um sie her flutete der Menschenstrom. Ziesche räusperte sich, dann stellte er vor: »Ein Kamerad, Werner Holt. Meine Mutter!«
    »Möchtest du freundlicherweise hinzufügen«, sagte die zierliche Frau rasch und ein wenig gereizt in süddeutscher Mundart, »daß ich deine Stiefmutter bin? Man könnte sonst« – sie wandte sich an Holt – »dieses Trampeltier hier« – sie stieß Ziesche mit dem Ellenbogen an – »für meinen leiblichen Sohn halten!«
    Ziesches Lachen war gezwungen. »Also Stiefmutter.«
    Jetzt erst, mit angewinkeltem Unterarm, gab sie Holt die Hand. Ihr Blick verwirrte ihn. Die eine Sekunde, die er den Kopf neigte, ging in ihm alles durcheinander: Ziesches Mutter, Stiefmutter, sie ist wie ein Mädchen, zart und zierlich. Er hob den Kopf. Ich darf sie nicht so anstarren! Er war verwirrt.
    Sie gingen zu dritt weiter. Nach ein paar Schritten meinte Ziesche verstimmt: »Wir wollten ins Kino!« Sie antwortete ungezogen und launisch wie ein Kind: »Ich hab mir’s überlegt. Eigentlich habe ich gar keine Lust.« Ziesche rief ungehalten: »Da hätten wir doch gleich zu Hause bleiben können!« – »Weißt du was«, sagte Frau Ziesche, nun in bester Laune. »Wir kehren um. Ich brühe einen Tee, und wir plaudern!«
    »Nein!« Ziesche blieb stehen. »Ich geh ins Kino, mach was du willst. Heil Hitler!« Mit rotem Kopf drehte er sich um und verschwand in der Menschenmenge.
    Holt war von dieser Szene unangenehm berührt. Er wußte nicht, wie er sich nun verhalten sollte. Sie lief neben ihm her und redete ungehemmt: »Ich hab meine liebe Not mit dem Kerl. Wissen Sie, seine Mutter, das war so eine Superblonde … Arische … Mit mir kann er sich nun nicht abfinden!« Sie blieb stehen. »UndSie? Lassen Sie mich auch einfach allein?« Sie war kleiner als er und sah ihn von unten aus ihren dunklen Augen an, mit einem ängstlichen und hilflosen Gesicht.
    Ihre Art, so eindeutig zu schauspielern, verwirrte ihn immer mehr. »Wenn Sie erlauben«, sagte er beklommen, »begleite ich Sie …« Sie lächelte. Das schmale Gesicht war ihm vertraut, als habe er es seit langem täglich gesehen. »Wohin?« fragte er.
    »Nach Hause!« Er hatte Mühe, seinen Schritt dem ihren anzupassen. »Sie sind von auswärts? Was machen Sie, wenn Sie Ausgang haben?« Man gehe ins Kino, sitze in Cafés herum und spiele Billard … – »Und die Mädchen?« fragte sie. »Die Dämchen aus dem Lyzeum?«
    Für manchen sei das die … einzige Abwechslung gewissermaßen … Er könne es schon verstehen, meinte er. – »Für manchen? Für Sie also nicht?« – »Nein«, sagte er befremdet. Es paßte ihm nicht, so ausgefragt zu werden.
    »Mit sechzehn Jahren in die Flakbatterie gesteckt, schrecklich! Ihr seid doch noch Kinder!« Er suchte eine Antwort, spitz, geistreich-ironisch sollte sie sein … Er schwieg, er dachte: Hab ich das nötig, mich beleidigen zu lassen? … Aber als sie vor dem Eingang eines großen Miethauses fragte: »Mögen Sie eine Tasse Tee mit mir trinken?«, da antwortete er

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