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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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verkündete am Abend in der Stube laut, daß er sich mit ihr verabredet habe und daß sich dann allerhand abspielen werde. Aber die Freude dauerte nicht lange. »Alles aus!« sagte er zu Holt. »Ich hab ihr bloß mal ’n bißchen unter die Bluse gewollt, da hat sie sich angestellt wie sonstwas!« Er zog sich wieder zu seinen strategischen Lehrbüchern zurück. Am folgenden Dienstag ging er sogar in die Schule und brachte dadurch Branzner in Verlegenheit, der ihn schon »wegen Beobachtung des Rohrrücklaufs« entschuldigt hatte.
     
    Doktor Klage, der Mathematiklehrer aus Essen, war etwa fünfunddreißig Jahre alt, ein ruhiger und ernster Mensch, der sich Mühe gab, die Jungen trotz der ungünstigen Umstände im Unterricht voranzubringen. Er hatte sich durch seine bestimmte, dabei ausgesucht höfliche Art, mit den Jungen umzugehen, beinahe etwas wie Anerkennung verschafft und war der einzige unter den Lehrern, der seinen wöchentlichen Besuch in der Batterie nicht als leere Formalität auffaßte. Holt bewunderte insgeheim die Geduld, mit der sich Klage auch den zurückgebliebenen und den aufsässigen Schülern wie Wolzow und Vetter widmete. Zur Zeit schrieb der Lehrplan Trigonometrie vor, und Doktor Klage brachte es tatsächlich fertig, in Holt, zum erstenmal seit Jahren, ein Interesse am Unterrichtsstoff wachzurufen.
    Aber Wolzow fand nur Schimpfwörter für den schon grauhaarigen Mann, der als leidend galt, wobei freilich niemand genau über die Natur dieses Leidens Bescheid wußte; es sollten Nierensteine sein, wurde gemunkelt. An manchem Tage saß Doktor Klage mit eingefallener, bleicher Gesichtshaut hinter seinem Tisch, von Koliken geplagt, und die Schmerzen ließen glänzende Schweißtropfen auf seine Stirn treten. »Alles Theater, alles Verstellung«, sagte Wolzow, »der Bursche drückt sich vor der Front!« Er haßte Klage, mit dem er schon in den ersten Tagen Streit gehabt hatte. Damals hatte er an der Tafel eine Aufgabe lösen sollen, war aber auf seinem Platz sitzen geblieben, als gehe ihn der Unterricht nichts an. Doktor Klage, dem Wolzows rüde Art noch nicht bekannt war, stand dicht neben Wolzows Bank und wiederholte: »Wolzow, bitte gehen Sie …« – »Lassen Sie mich in Ruhe!« schrie Wolzow und sprang so wild von seinem Sitz auf, daß der Lehrer mit einer unwillkürlichen Bewegung der Abwehr zurückwich; bei dieser Bewegung aber stieß er versehentlich Wolzow vor die Brust.
    »Prügeln wollen Sie mich!« schrie Wolzow. »Sie wollen mich prügeln …?« Holt, der hinter ihm saß, faßte ihn am Koppel: »Gilbert, gib Ruh!« – »Prügeln, wo gibt’s denn so was!« krähte Vetter in seiner Ecke. Wolzow, durch Holts Einmischung etwas zur Besinnung gebracht, verließ die Baracke mit den Worten: »Als der beste Ladekanonier der Batterie hab ich’s doch nicht nötig, mich von dem prügeln zu lassen!«
    Doktor Klage beschwerte sich bei Kutschera. Kutschera fiel den Lehrern in solchen Fällen regelmäßig mit seiner Redensart in den Rücken: »Schießen ist wichtiger als Latein!« Diesmal verhörte er, lediglich um der Form zu genügen, einen Zeugen, wobei er sich ausgerechnet Vetter herausgriff, und rief beim Nachmittagsappell: »Mal herhören! Der Wolzow hat sich mit’m Lehrer geprügelt! Wo gibt’s denn so was!« Und dann: »Ich hab einen ausgefragt, der erzählt’s so rum, aber der lügt! Der Doktor Klage erzählt’s andersrum, aber der lügt auch! Wenn beide Seiten lügen, seh ich keinen Grund, mich einzumischen!« Sprach’s, pfiff seinem Hund und zog sich in seine Behausung zurück. Wolzow triumphierte: »Der Chef hat diesen Drückeberger durchschaut.«
    Anfang Dezember wurde Klage Flakwehrmann in der 107. Batterie. Es war eine kalte und sternklare Nacht. Ziesche hatte Nachturlaub, Rutscher lag mit Mandelentzündung im Revier. Da aber mehrere Luftwaffenhelfer erkrankt waren, wurden nur fünf Geschütze besetzt. Und plötzlich erschien Doktor Klage bei Geschütz Anton und sagte: »Guten Abend.« Es verschlug ihnen allen die Sprache. Klage mochte wieder seine Koliken haben, denn er sah krank und erschöpft aus.
    Wolzow überwand seine Verblüffung, zog sich den Ladehandschuh aus und sagte gedehnt: »Na, dann wolln wir mal.« Er wandte sich an Schmiedling: »Hab mir’n Ellbogen verknaxt!« Er übernahm die Funktion des Geschützführers.
    Sie schossen ein paar Gruppen auf einen Verband schneller Kampfflugzeuge. In der Feuerpause drückte sich Vetter an Wolzow heran und hetzte: »Der Klage sitzt

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