Abenteuer des Werner Holt
glücklich: »Ja, gern …« und folgte ihr.
Er half ihr aus dem schwarzen Pelzmantel und sah sie nun in einem braunen Wollkleid, schlank und schmalhüftig wie einen Knaben. Sie führte ihn in ein Zimmer, wo er verlegen auf dem bunten Teppich stehen blieb. Sein Blick haftete an einer großen, gerahmten Photographie, die auf dem Tisch der Leselampe stand und das Gesicht eines vielleicht fünfzigjährigen Mannes zeigte, ein großflächiges, derbes Gesicht über dem Kragen der SS-Uniform, ein wenig gedunsen, und es glich, unter der paspelierten Uniformmütze mit dem Totenkopf, dem Gesicht Günter Ziesches … Das muß sein Vater sein! Holt drehte das Bild um und las: »Meiner heisgeliebten Gerti« – tatsächlich, »heißgeliebt« war mit s geschrieben, in klobiger und abstoßend primitiver Schrift – »zum 26. Geburtstag von ihrem Erwin.« Das Datum: »Krakau,14. Hartung 1942.« Fast achtundzwanzig Jahre alt ist sie also. Erregt starrte er auf das Bild, auf dieses gedunsene, brutale Gesicht. Sein Inneres füllte sich bis in den letzten Winkel mit Haß auf diesen Menschen in der protzigen Uniform, der nicht orthographisch schreiben konnte und der Mann einer so wunderbaren, mädchenhaften Frau war …
Hinter ihm ging eine Tür. Mit flinken Bewegungen deckte Frau Ziesche den Teetisch. Sie lächelte freundlich und plauderte: »Es ist nicht mehr sehr gemütlich hier. Wir haben fast alles ausgelagert. Eines Tages erwischt es auch dieses Haus.«
Er saß ihr stumm und verbittert gegenüber. Sie fragte teilnahmsvoll: »Was ist mit Ihnen?« – »Nichts. Ich hab keine Ruhe. Bestimmt gibt’s Alarm.« Sie beugte sich zum Radio hin. Widerwillig verfolgte er mit seinem Blick ihren schlanken Arm. »… Reichsgebiet kein feindlicher Kampfverband.« Sie suchte Musik. »Sind Sie nun beruhigt?« Sie lehnte sich bequem in ihren Sessel.
Ich will fort! dachte Holt. Wär ich lieber ins Kino gegangen! Er glaubte in seinem Rücken den Blick des blonden, breitgesichtigen Mannes zu fühlen. Er konnte nicht ständig auf den Boden blicken, er mußte sie ansehen, wie sie mit untergeschlagenen Beinen auf dem Sessel hockte. Ein zartes Profil, und das lange, dunkle Haar gebündelt im Nacken, zu einem lockeren Knoten geschlungen … »Es ist besser, wenn ich gehe.« Er stand auf. »Ich hab keine Ruhe.« Sie sah ihn befremdet an. Dann sagte sie in unverbindlicher Liebenswürdigkeit: »Wenn Sie meinen? Ich will Sie nicht halten!«
Auf dem Korridor zog er sich eilig den Mantel über. Sie gab ihm die Hand. Plötzlich stammelte er: »Bitte … Sie dürfen nicht bös sein …«
Erstaunt zog sie die Brauen hoch. Er wagte nicht, sie anzusehen. »Darf ich wiederkommen?« Sie antwortete unbefangen: »Warum nicht? Ich hab Telefon. Günter gibt Ihnen die Nummer!«
Er lief hastig die Treppen hinab und irrte planlos durch die Straßen. Dann fuhr er in die Batterie zurück.
Er fand an diesem Abend lange keinen Schlaf. Vetter röchelte leise. Holt starrte in die Dunkelheit.
Er sah mandelförmige Augen, dunkles Haar, das zu einem lockeren Knoten geschlungen war.
Und Uta?
Er beschloß, Frau Ziesche aus dem Weg zu gehen.
6
Am Sonntag morgen hatte Kutschera schlechte Laune und nahm einen nachlässigen Gruß zum Anlaß, die Batterie anderthalb Stunden mit Fußdienst zu plagen. Die Alarmklingel erlöste die Jungen.
Nach dem üblichen Sonntagsessen, Rinderbraten mit einer Soße, die »Bratenwasser Din A 4« genannt wurde, Sauerkraut und Pellkartoffeln, zog der sonntägliche Besucherstrom in die Batterie, Eltern und Bekannte der Luftwaffenhelfer aus den umliegenden Städten.
Vetter drosch mit Kirsch und Rutscher den gewohnten Sonntagnachmittagsskat. Er versicherte: »Das ist hier ein prima Leben! Na, meine Sippe soll in Zukunft mal versuchen, mich zu verdreschen!« Wolzow las im Clausewitz. Gomulka lag auf dem Bett und schlief.
Holt schrieb an Uta. Da steckte jemand den Kopf in die Stube und sagte: »Ziesche, in der Kantine ist Besuch für dich.« Ziesche verschwand. Das kann nur
sie
sein! dachte Holt. Uta war vergessen. Soll ich nachschaun, ob sie’s wirklich ist?
Zemtzki trat ins Zimmer. Vetter zählte seine Stiche: »Achtundfünfzig, zwoundsechzig, es reicht!« – »Gilbert«, piepste Zemtzki, »du sollst ans Geschütz Cäsar kommen, dort probiern die Obergefreiten eine hydraulische Ladeschale aus!« Wolzow klappte das Buch zu. »Das muß ich mir ansehen!« Er warf die Tür ins Schloß.
Ich kann nicht nach der Kantine laufen, ich mach mich ja
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