Abenteuer des Werner Holt
meint, es macht einen schlechten Eindruck …« – »Unsinn! Wenn Sie umkommen, macht das einen besseren Eindruck?« Sein Haß auf den dicken, blonden Mann war frisch und unverbraucht.
Die Sirenen heulten los, auf und ab. »Wir müssen in den Keller!« – »Nicht so eilig«, meinte er, am Radio, sehr überlegen. »Sie sind erst in den Hundertfünfzig-Kilometer-Bereich eingeflogen … Bekommen Sie den Flaksender?« – »Das versteht doch kein Mensch …« – »Ich versteh’s schon!«
Sie kniete neben ihm vor dem Rundfunkgerät nieder. Die Skala des Radios beleuchtete ihr Gesicht. Zemtzki hatte Holt die große Karte mit den Planquadraten erklärt. »Schneller Verband von Martha–Heinrich vierundsechzig nach Nordpol–Ida siebzehn …« – »Das sind die Pfadfinder, etwa bei Dinslaken … Wenn sie ihre Richtung beibehalten, fliegen sie südlich an uns vorbei …« Das Ticken verstummte, die Stimme des Sprechers war wieder da: »Schneller Verband von …« – »Sie fliegen vorbei.« – »Und wann wird es gefährlich?« fragte sie. – »Ich erklär Ihnen das gelegentlich ganz genau.« Er horchte auf den Sprecher. »Die Bomber fliegen hinterher, sie lassen uns in Ruhe.«
»Dieser Ziesche hätte mir das längst erklären können!« sagte sie. Draußen setzte schweres Flakfeuer ein, durch die geöffneten Fenster drang der Geschützdonner, beängstigend nahe. Holt horchte. »Da schießt jemand auf die Pfadfinder!« – »Eine Ruhe haben Sie! Ich will in den Keller, ich habe Angst!« Sie nahm ihn am Arm und ließ sich die Treppe hinabführen.
Der Luftschutzwart lehnte mürrisch an der Haustür und betrachtete Holt neugierig. »Wird Zeit, daß Sie runterkommen!« Der Keller war tief und mit Balken abgesteift. Eine Menge Menschen drängten sich in den Gängen zusammen. Frau Ziesche schloß ganz hinten eine Tür auf. »Ich mag nicht unter all den Leutensitzen.« Das kleine, saubere Kellergelaß war gleichfalls mit starken Baumstämmen abgestützt. Das wird nicht viel nützen, dachte Holt mißtrauisch. Er wünschte sich in den Geschützstand, unter freien Himmel.
Sie setzten sich, sie hielt noch immer seinen Arm fest und rückte fröstelnd an ihn heran. Im Kellergang leuchtete schwacher Lichtschein. Das Flakfeuer klang nur gedämpft in den Keller.
Sie saßen stumm beieinander. Nach einer Weile sagte sie: »Die Leute draußen machen mich immer ganz verrückt. Aber Sie wirken beruhigend auf mich.« Er erwiderte: »Ich hätte hier unten vielleicht auch Angst. Aber ich bin so froh, daß ich mit Ihnen zusammensein kann.« Er spürte, daß sie ihn anschaute und dann wieder geradeaus blickte.
Vom Kellergang klang Geschwätz und Kindergeschrei zu ihnen herein. Aber das hörte Holt kaum. Er sah die junge, mädchenhafte Frau neben sich, in den Pelz gewickelt, aus dem nur das schmale und jetzt so blasse Gesicht hervorschaute. Der Knoten hatte sich gelöst, und das Haar fiel schwer und mattglänzend in den Nacken und mischte sich mit dem Pelz. Sie hatte den Kopf rücklings gegen die Kellerwand gelegt. »Warum sind Sie neulich fortgelaufen?« fragte sie halblaut.
»Ich wär auch heut beinah wieder gegangen …« – »Und warum?« – »Wenn … Sie mit anderen tanzen, ich ertrag das nicht …« Sie lächelte. »Ich kann nicht dafür …«, sagte er, »ich weiß, es ist dumm …« Er erhielt keine Antwort. Der Luftschutzwart brüllte in den Kellergang: »Entwarnung.«
Holt schaute auf die Armbanduhr. Es war kurz nach elf. »Ich muß fort.« Wie beim erstenmal stand er mit gesenktem Kopf vor ihr, hielt ihre Hand und fragte: »Darf ich wiederkommen?« Sie sagte langsam: »Eigentlich sind Sie doch alt genug, zu wissen, was Sie dürfen und was Sie nicht dürfen.« Er hatte noch nie ein so undurchschaubares Gesicht gesehen.
Er dachte unaufhörlich über diese seltsame Bekanntschaft nach. Während des tatenlosen Wartens am Geschütz und während des Schulunterrichts drehten sich seine Gedanken um nichts anderesals um die dunkelhaarige Frau. Anfangs störte ihn dabei die Erinnerung an Uta. Aber dann kapitulierte er vor diesem neuen Gefühl, das offenbar stärker war. Es ging nicht ohne Selbstvorwürfe ab.
Am Tage vor seinem nächsten Ausgang rief er bei Frau Ziesche an. Ob er kommen dürfe? »Natürlich, wenn Sie nichts Besseres vorhaben?«
Sie öffnete selbst, sie war allein in der Wohnung. Wieder zeigte sie sich ganz anders, als er sie bisher kennengelernt hatte, sie war von bestürzender Sachlichkeit. Im Wohnzimmer hockte
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