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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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sie sich auf der Couch nieder. Er zog einen Sessel heran. Sie rauchten. »Warum sagten Sie: ›Wenn Sie nichts Besseres vorhaben?‹« fragte er. »Es gibt nichts, das mir lieber wäre, als Sie zu besuchen!« – »So?« sagte sie gedehnt und rekelte sich auf der Couch. »Auch nicht, an ein gewisses Fräulein Barnim zu schreiben?« Er geriet so sehr außer Fassung, daß er vor Hilflosigkeit frech wurde: »Sie spionieren mir nach?«
    »Ein bißchen«, meinte sie und warf die Zigarette in die Aschenschale. »Jedenfalls hab ich aus meinem Stiefsohn etwas Wichtiges herausgehorcht.« – »Und … das wäre?« – »Daß Sie offenbar keiner von denen sind, die sich einer Eroberung rühmen«, sagte sie langsam und sah ihn dabei fest und herausfordernd an, »daß Sie, kurz gesagt, den Mund halten können.«
    Er saß wie gelähmt in seinem Sessel, bis sein Blick auf die große, gerahmte Photographie fiel. Die Erregung, die sein Blut durch die Adern trieb, schlug für einen Augenblick in sinnlose Wut um. Er schmetterte das Bild des dicken, blonden Mannes aufs Parkett, daß die Scherben umherflogen. Sie stieß einen erschreckten Schrei aus. Er faßte nach ihr. Sie zog ihn zu sich herab. Er nahm ihre Gier für Leidenschaft.
    Er blieb bis zum späten Abend. Sie lagen im Schlafzimmer, in dem breiten Bett. Er schaute ihr unablässig ins Gesicht, das völlig entspannt war, als wolle er erraten, was hinter der Stirn vor sich ging. Er fragte unvermittelt: »Liebst du mich?«
    Sie schlug überrascht die Augen auf. Ihr Blick ließ ihn vergessen, wie albern seine Frage war. Schon schloß sie die Augen wieder,seufzte ein bißchen und sagte: »Ja.« Dann lächelte sie, mit geschlossenen Augen.
    Sie lügt! »Es ist nicht wahr, du liebst mich nicht!«
    Sie wandte den Kopf zu ihm hin. »Liebe …«, sagte sie verächtlich, »was ist denn Liebe? Ich bin doch kein Backfisch! Hingabe … was willst du mehr?«
    »Und … das Herz?« fragte er hilflos. Sie zog seinen Kopf an ihre Brust. »Sei still!« Ehe er ging, fragte sie: »Kannst du nicht Nachturlaub nehmen, wie die anderen?«

 
    7
     
    »Mein Stiefsohn darf uns unter gar keinen Umständen auf die Spur kommen«, sagte Frau Ziesche zu Holt. Da er nun manchmal erst im Morgengrauen in die Batteriestellung zurückkehrte, erfand er eine »Freundin«, Hausangestellte in Gelsenkirchen. »Daß nur Ziesche nichts erfährt«, warnte sie immer wieder, »es gäbe eine Katastrophe! … Er haßt mich, sieh dich vor!«
    Eine Zeitlang versuchte Holt, Ziesche ein wenig näherzukommen, und er fragte ihn einmal: »Was ist dein Vater?« Ziesche gab Auskunft: »Reichsbeauftragter für die Festigung deutschen Volkstums im Generalgouvernement.« Holt konnte sich darunter nicht viel vorstellen. »Was hat er denn da zu tun?« Ziesche erklärte es genau. »Du weißt ja, daß die Polen eine minderwertige Rasse sind. Aber es gibt Abstufungen, zum Beispiel blonde Slawen, deren germanischer Blutanteil von früher her sehr hoch ist. Mein Vater sucht solche Kinder aus, in den Konzentrationslagern und auch sonst. Sie werden zu deutschen Familien gebracht oder im Reich deutsch erzogen. Später sollen sie aufgenordet werden; durch Nachwuchssteuerung kann man rassisch höherstehende Typen schaffen.« – »Und die Eltern?« fragte Holt. Ziesche hob die Schultern.
    Es blieb bei dem einen Annäherungsversuch. Eine Beobachtung, die Holt durch einen Zufall machte, führte bald zum Bruch, ja zur Feindschaft zwischen Ziesche und ihm. Ziesche hatte einenFreund in der Batterie, einen kleinen, blonden Jungen mit weichem Haar und verträumten Augen, er hieß Fink. Holt überraschte die beiden eines Abends im Bunker des Geschützstandes, ohne daß sie es merkten. Er erzählte niemandem davon.
    Als er ein paar Tage später morgens gegen sechs übermüdet in die Baracke schlich, sah Ziesche ihn kopfschüttelnd an und brachte am Nachmittag die Sprache darauf. Wolzow, Vetter und Gomulka saßen dabei. »Du bist erst siebzehn«, sagte Ziesche, »und treibst es schon derartig mit Weibern!«
    Holt schwieg betroffen. Wolzow grinste. »Das geht keinen was an«, sagte Holt. Ziesche entgegnete: »Ich wundere mich nur, daß ein Mensch sich im Sumpf so wohl fühlt.« Er lehnte mit dem Rücken gegen einen Spind und blickte auf Holt herab. »Ich jedenfalls halte es mit den Worten, die Flex seinem ›Wanderer‹ vorangestellt hat: ›Rein bleiben und reif werden, das ist höchste und schönste Lebenskunst‹!«
    Holts Betroffenheit schlug in Wut um.

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