Abenteuer des Werner Holt
»Du verlogenes Aas! Nennst du das rein bleiben, wenn du mit Fink …« Ziesche, während Vetter vor Lachen losbrüllte, stürzte sich auf Holt, aber er war zu schwerfällig, um mit ihm fertig zu werden. Von nun an waren sie Todfeinde.
Holt erzählte die Szene Frau Ziesche. Sie hörte aufmerksam zu. »Das war unklug«, meinte sie dann, »jetzt hast du ihn dir zum Feind gemacht.« – »Was heißt klug oder unklug? … Du bist so … berechnend! Er hat mich angepöbelt, ich hab’s ihm zurückgegeben, fertig!«
Sie saßen im Wohnzimmer. Sie legte ihre kindlich kleine Hand auf seine, seufzte und sagte: »Du bist im Sturm- und Drangalter … Und berechnend, das wirst du auch noch werden, wenn du das Leben erst besser kennst, oder …« – »Oder?« – »Oder du bringst es zu nichts.«
Während des üblichen Alarms am Abend blieben sie in der Wohnung, am Radio. Mochte die Flak schießen, was tat das schon? »Wenn sie keine Zielmarkierungen werfen«, hatte er ihr erklärt, »fallen höchstens zufällig mal ’n paar Bomben.« Der Luftschutzwartklingelte Sturm. Sie verhielten sich ruhig, die Wohnung war gut verdunkelt. Das Pflichtjahrmädchen arbeitete nur viermal wöchentlich.
Holt liebte die Alarmstunden. Dann war es still im Haus, der ferne Donner der Flakbatterien deckte alle Geräusche zu. Er kniete neben Frau Ziesche auf dem Boden vor dem Radio. Der Drahtfunk tickte geheimnisvoll, der schwache Lichtschein der Skala beleuchtete ihr Gesicht. Er legte den Arm um ihre Schulter und sah sie unablässig an, und je länger er sie anblickte, desto mehr verfiel er ihr. Sie lehnte sich gegen ihn, jede Berührung ließ ihren Atem schneller gehen. Nach dem Alarm lagen sie im Schlafzimmer auf dem breiten Bett.
»Man kann ruhig darüber sprechen«, pflegte sie zu sagen; das war der Titel eines gängigen Buches. Anfangs empörte er sich gegen ihre Sachlichkeit; aber als er sie einmal schamlos nannte, lachte sie ihn rundweg aus. »Ich nehm dir die Illusionen«, sagte sie. »Wozu sind Illusionen gut? Zu nichts! Du wirst mir eines Tages dankbar sein.« Dankbar? Das verstand er nicht. »Die meisten Menschen«, erklärte sie, »sind in Liebesdingen primitiv wie die Tiere.« – »Tierisch«, meinte er, »ist es, wenn das Herz nicht dabei ist, das Gefühl …« Das nannte sie »Schmus«. »Was soll das leere Gerede! Das Tier kann nicht genießen, das ist der einzige Unterschied. Auch der Mensch muß es erst lernen, die meisten lernen es nie, und besonders ihr Männer seid unbeschreiblich egoistisch, ihr …« – »Und Liebe?« fragte er hartnäckig. »Alles Gerede«, sagte sie. »Es gibt keine Liebe, es gibt nur einen Lustgewinnungstrieb.«
Manchmal erschrak er vor ihr. »Liebe, Anbetung, Verehrung«, sagte sie, »das ist alles ganz schön, aber es wird langweilig. Eine Frau will nicht angebetet und geliebt, sie will unterworfen sein und Lust gewinnen. Vielleicht weiß sie das anfangs nicht, aber wenn der Mann etwas taugt, dann lernt sie’s sehr bald. Merk dir das! Ein Mann darf die Frauen nicht umschmeicheln und viel bitten, er muß sie unterwerfen, eher mit Gewalt als mit vielem Gerede. Liebe? Jede Frau wird ihren Mann betrügen, wenn sie bloß geliebt und nicht auch befriedigt wird.«
»Wie soll man Achtung haben vor euch?« fragte Holt.
»Achtung …«, sagte sie gedehnt, »wozu? Lies mal Weininger, das Buch ist zwar verboten, aber lies es mal. Der hat die Frauen gekannt. Lies, was er schreibt. Dann vergeht dir die Achtung von selbst.«
Holt fühlte sich gleichermaßen abgestoßen und angezogen von ihren Worten, von ihrer zügellosen Sinnlichkeit. Manchmal überwog die Abneigung, wie auch in diesem Augenblick. Aber sie löschte die Entfremdung nach Belieben mit ihren Zärtlichkeiten aus. Wenn er ihr wieder verfallen war, dann brannte die Eifersucht in ihm.
Es war die frühe Morgenstunde, und er fragte böse: »Warum hast du deinen Mann geheiratet?«
Sie schaute ihm, den Kopf in die Hand gestützt, überrascht ins Gesicht. »Du haßt ihn, nicht wahr? Das ist seltsam. Du kennst ihn doch gar nicht.« Sie langte Zigaretten und Streichhölzer vom Nachtschränkchen. Er folgte der Bewegung ihres nackten Armes. Sie steckte ihm eine angerauchte Zigarette zwischen die Lippen.
»Er ist tatsächlich der hassenswürdigste Mensch, den ich mir vorstellen kann«, sagte sie.
Er mußte sie falsch verstanden haben. »Du meinst, er ist eine so starke Persönlichkeit, daß man ihn entweder verehren oder hassen …« – »Unsinn! Er
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