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Abenteuer des Werner Holt

Abenteuer des Werner Holt

Titel: Abenteuer des Werner Holt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Noll
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ist ganz einfach ein Schwein! Ein übler, brutaler Kerl, der das Zeug zu einem Gewaltverbrecher hat. Wenn ihn die Nazis nicht zu einem hohen Tier gemacht hätten, wer weiß, was dann aus ihm geworden wäre.«
    Ein Schwein, ein brutaler Kerl, die Nazis. Dieses Wort hatte er überhaupt erst ein- oder zweimal gehört, es sollte vor dreiunddreißig ein Schimpfwort gewesen sein. Wo bin ich hier hineingeraten? dachte er. Aber er tat ganz ungerührt, sog an der Zigarette und meinte dann: »Da versteh ich nur nicht, daß du ihn geheiratet hast!«
    »Jeder setzt einmal im Leben alles auf eine Karte«, entgegnete sie. »Und man kann nur hoffen, daß es die richtige Karte war.« – »Und du hast alles auf einen Mann gesetzt, den du verabscheust?«
    »Ich hab natürlich nicht wissen können, daß er mal eine so unbeschreiblich dreckige Arbeit macht«, sagte sie. »Außerdem sahdamals überhaupt noch manches ganz anders aus. Ich sagte mir: er hat allerhand zu bieten, und da griff ich eben zu.«
    »Wo du so … schön bist, da hattest du das doch gar nicht nötig«, meinte er.
    Sie lächelte. »Als Tänzerin war ich immer nur besserer Provinzdurchschnitt. Da denkt man an später.«
    Sie hat sich verkauft, dachte er, an diesen Mann! »Was ist das für eine Arbeit?«
    »Er sucht Kinder aus den KZs«, antwortete sie, »die will man dann später mit Ariern kreuzen, wie die Tiere! Er hat überall die Pfoten drin, wo die haarsträubendsten Dinge geschehen. Er entscheidet, ob ein Kind ins Reich kommt oder ins Gas.«
    Eine grauenhafte Beklemmung überkam Holt. Fernes, ganz fernes Gemunkel verdichtete sich … »Rede nicht darüber«, hörte er sie sagen. »Im Generalgouvernement bringen sie die Polen und die Juden zu Hunderttausenden um, die SS macht das. Ziesche nennt es ›Schwächung einer minderwertigen Rasse‹. Die Juden sind schon so gut wie ausgerottet.«
    Minderwertige Rasse. Nordischer Herrenmensch. Jude und Arier. So sieht das also aus, dachte er wie gelähmt. »Aber … das ist alles ganz anders … mit den Rassen!« sagte er. »Mein Vater ist Professor. Einmal hab ich gehört, wie er jemandem erklärt hat, die Rassentheorie ist Religion …« – »Der Vergleich ist gut«, meinte sie. »Die Römer haben die Christen umgebracht, die Inquisition hat die Ketzer verbrannt, und jetzt vergasen wir die Juden und die Polen. Davon hab ich natürlich nichts gewußt, als ich Ziesche heiratete. Er war hier in der Nähe Kreisleiter und hat dann Karriere gemacht. Das lockte mich. Ich will schließlich auch zu denen gehören, die obenan sind.« Sie sprach nur noch leise. »Jetzt geht’s allerdings immer mehr bergab. Wer weiß, ob der Zauber nicht eines Tages zusammenkracht.«
     
    Kurz vor dem Morgenappell näherte er sich der Baracke auf Schleichpfaden, wie es vereinbart war. Er hatte Gottesknecht um Nachturlaub anstatt des Kurzurlaubs gebeten, und Gottesknecht hatte erwidert: »So dumm werden Sie doch nicht sein, daß Siefreiwillig auf den schönen Weihnachtsurlaub verzichten!« Und gedämpft: »Nehmen Sie Ausgang wie bisher. Wenn Sie erst früh kommen wollen, dann geben Sie mir einen Wink.« So geschah es. Heute lief Holt dem Wachtmeister in die Arme. »Ich muß Ihnen das nun doch verbieten«, meinte er. – »Herr Wachtmeister, ich bin frisch und munter!« – »So? Bis zum Kugelbaum sind fünfundachtzig Meter, alles genau vermessen. Da machen wir achtzigmal Häschen-hüpf. Und wenn Sie sich nicht verzählen, dürfen Sie den Rückweg zur Belohnung auf dem Bauch kriechen.«
    Von Gottesknecht erfuhr Holt auch, daß sein Weihnachtsurlaub bewilligt war. Er hatte die Absicht, mit zu Wolzow zu fahren. Aber nun folgte er einer plötzlichen Eingebung und ließ sich Papiere für eine Reise zu seinem Vater ausstellen. Er hatte ihn etwa vier Jahre lang nicht gesehen. Seiner Mutter schrieb er nichts davon. Auch meldete er seinen Besuch nicht an.
    Am 22. Dezember sollte er reisen. Wenige Tage vorher nahm Schmiedling Wolzow und Holt nachts am Geschütz beiseite. »I will Ihnen was sag i Ihnen, net wahr! Die was aus Hamburg sein, die und die andern aus Berta, verstehen S’, da wolln die Ihnen allezsamm nachts überfalln, in der Stuben!«
    Am anderen Morgen, als Ziesche zum Schulunterricht in einer anderen Baracke weilte, hielten sie Kriegsrat. »Der Günsche hat wohl immer noch nicht genug!« schimpfte Wolzow. »Ich hab das Theater endgültig satt! Ich zieh eine schlagartige Aktion auf. Ich hau ihnen die Bude kurz und klein.« – »Wenn wir

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