Abenteuer des Werner Holt
neben dem Professor her, der ihn an Größe überragte. Ichsoll erzählen? Ihn interessiert ja nichts. Er ist ein Menschenfeind, ganz weltfremd … Er erzählte widerwillig und flüchtig.
In dem kleinen, ärmlich möblierten Zimmer war der Tisch vors Fenster gerückt und mit Papieren bedeckt, mit Büchern und Tabellen. Auf dem Korridor schalt die Wirtin laut über unnützen Aufwand, unverhoffte Besuche und zusätzliche Arbeit vor den Weihnachtsfeiertagen. Und wieder war es die düstere Atmosphäre des Zimmers, dieser fremden und armseligen Welt, die Holt bedrückte und ihn mit einem fast feindseligen Interesse auf seinen Vater sehen ließ, der bedächtig eine kurze Pfeife stopfte: ein fremder und alter Mann, ein Mann von Charakter, der solches auf sich nimmt, in diesem Loch zu hausen, abgerissen, gescholten von einer schlampigen Wirtin, während Mutter in der Bamberger Villa residiert … ein Mann von Charakter oder ein starrsinniger Sonderling, weltfremd, menschenfeindlich? Was redet er da? … Nach vier Jahren den Weg gefunden, zu ihm, und wie es so gehe …?
»Von mir«, sagte er, »hab ich dir das wichtigste schon erzählt. Und du, Vater, wie ist es dir in den letzten Jahren ergangen?« Interessiert es mich wirklich? fragte er sich. Oder rede ich das nur so hin? Ist er nicht von allen Fremden der Fremdeste? Aber dann wurde doch etwas wie Neugier wach, nun endlich die Hintergründe dieses Schicksals zu erfahren.
»Du siehst«, sagte der Professor, die kurze Pfeife zwischen den Zähnen, »ich lebe, ich arbeite. Wozu früher keine Zeit war, das wird jetzt gründlich, in Ruhe getan.« – »Gut, gut«, sagte Holt schnell, »deine Arbeit … Ich versteh nichts davon. Aber sonst, ich meine …« Er sagte nun geradeheraus: »Du lebst hier ziemlich ärmlich. Wenn ich an früher denke … Ich hab eine Menge Fragen. Man ist schließlich älter geworden. Warum ist eigentlich …«
Er schwieg. Rühr nicht dran, sprach es in ihm.
»Warum«, fragte er, »ist eigentlich deine Ehe auseinandergegangen?«
Der Professor sah ein wenig überrascht auf. Er sog an der Pfeife. Die Tischlampe beleuchtete sein Gesicht und füllte die starken Falten, die von den Nasenflügeln über die Mundwinkel liefen, mit Schatten. »Deine Mutter«, begann er bedächtig,»erscheint mir bis heute, in ihrer Art, als eine liebenswerte Frau, zweifellos … Aber gerade deshalb paßte sie nicht zu mir.« – »Gut, gut«, sagte Holt wieder. »Aber der Anlaß! Als du weggingst, war doch ein Anlaß! Warum hast du damals deine Stellung in Leverkusen aufgegeben?« Und wieder dachte er: Frag nicht, rühr nicht dran!
»Die Arbeit paßte mir nicht«, entgegnete der Professor. Es klang, als weiche er einer genaueren Antwort aus.
»Ich bitte dich«, sagte Holt, »du bist aus Hamburg weggegangen, um in der Industrie großzügiger arbeiten zu können, war es nicht so? Und auf einmal paßte dir die Arbeit nicht mehr?«
»Nein. Auf einmal paßte sie mir nicht mehr«, erwiderte der Professor, den Blick nun nachdenklich und abwägend auf seinen Sohn gerichtet. »Aber hier«, rief Holt herausfordernd, »in so einem Loch, als kleiner Chemiker, da paßt sie dir?« – »Ja. Da paßt sie mir«, sagte der Professor.
Sein Gesicht tauchte in die Dämmerung des Zimmers. Der zur Seite gedrehte Kopf verdeckte die Lampe. Das weiße Haar, vom Licht durchschienen, leuchtete silbern auf. Wie gebannt sah Holt auf seinen Vater, der unbeweglich ins Dunkel blickte, den Kopf geneigt, in Nachdenken versunken.
»Ich habe«, sagte der Professor langsam, »in der zweiten Hälfte meines Lebens eine Menge Illusionen zu Grabe getragen. Du bist älter geworden … gut. Zu diesen Illusionen gehörte der Glaube, jenseits des Zeitgetriebes in Ruhe und zum Nutzen meiner Mitmenschen arbeiten zu können, dazu gehörte unter anderem meine Ehe, dazu gehörte ferner der Wunsch, einen … Sohn zu haben und ihn einmal nach meinem Bilde zu formen … Ein Mensch ohne Illusionen aber kann warten. Und zum Warten ist dieses Zimmer hier … ist meine derzeitige Arbeit gerade recht.«
Holt versuchte vergebens, den Blick von seinem Vater zu lösen; er versuchte, den Eindruck fortzuwischen, aber der Ernst dieser unverständlichen Rede spann ihn unvermittelt in Erinnerung ein, und eine sehr weit zurückliegende Zeit wurde lebendig, die früheste Kindheit. Damals, ehe die Entfremdung begann, ehe die aushöhlenden Redensarten der Mutter einsetzten, war der Vater Inbegriffaller Tugend gewesen, allwissend,
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