Abenteuer des Werner Holt
geschrieben! Holt, in diesem Krieg sind schon Millionen umgekommen, Soldaten, Frauen und Kinder, das wissen Sie, und es hat Sie bis gestern nicht gestört.«
»Herr Wachtmeister«, sagte Gomulka, »aber ich denke, es wäre …« – »Halten Sie den Mund!« fuhr ihn Gottesknecht an. »Meinen Sie, ich unterhalte mich hier in der Schreibstube mit Ihnen über den Dunst, der Ihnen gestern vom Gehirn weggepustet worden ist?«
Holt sah Gottesknecht verständnislos an. Was soll denn das nun wieder bedeuten? Gottesknecht beugte sich über den Tisch. Er sagte leise: »Der Ziesche führt Tagebuch! Der Ziesche notiert jedes Wort, das ihr vor ihm sprecht! ›Wo hat G-Punkt die exakte Zahl der feindlichen Bomberverluste her … Fragezeichen!‹ Rotwerden ist sinnlos, Gomulka! Air Marshal Harris’ Flugblatt an das deutsche Volk, was? Ich bitte mir aus, daß ihr in Zukunft den Mund haltet. Macht mir keinen Kummer, ich hab’s schwer genug, mich immer wieder zwischen euch und den Chef zu stellen. Habt ihr mich verstanden?«
Sie antworteten beide nicht.
Der Ziesche schreibt alles auf, dachte Holt erschrocken. Er überlegte fieberhaft, ob in seinen Gesprächen tatsächlich etwas zersetzend oder feindlich gewesen sei … Gomulka sagte fast unhörbar: »Ich versteh, Herr Wachtmeister.« In diesem Augenblick trat die Nachrichtenhelferin in die Schreibstube. Gottesknecht sagte unbefangen: »Das genügt. Sie können wieder zum Unterricht gehn.«
Sie grüßten und verließen die Baracke. Holt war verwirrt. In diesem Krieg sind schon Millionen umgekommen … und es hat Sie bis heute nicht gestört … Sollte das ein Vorwurf sein? »Sepp,wie verstehst du das, was Gottesknecht gesagt hat? Was meint er mit ›Flugblatt an das deutsche Volk‹?«
»Mir ist das alles unklar«, sagte Gomulka.
»Früher hab ich gewußt, was los ist«, sagte Holt. »Seit ich bei diesem Haufen bin, ist es, als würde mir langsam der Boden unter den Füßen weggezogen.«
»Früher hast du gewußt, was los ist?« fragte Gomulka. »Wirklich?«
»Es ist … der innere Schweinehund«, erwiderte Holt. »Wir müssen stur werden. Alle Soldaten sind stur!«
Dieser Gedanke befriedigte ihn wenig. Schicksal, Gesetz des Handelns, fanatisch glauben, dachte er wieder; sind wir wirklich willenlos ausgeliefert, nur … Figuren im großen Spiel? Aber das Nachdenken und Grübeln, überlegte er, bringt nichts ein. Hart werden. Glauben. Sich fanatisch der Sache verschwören. Es geht nicht, daß mich ein paar Bomben aus dem Gleichgewicht bringen!
Was ist mit mir los? dachte er.
Gottesknecht ließ ihn bis zum Abend in die Stadt, »zum Zahnarzt«, wie der UvD ins Wachbuch schrieb. Holt setzte sich eine Viertelstunde in das Café in der Rotthausener Straße, wo die Urlauber aller Batterien mit ihren Mädchen zusammensaßen, er traf ein paar Bekannte. Der Bombenangriff auf die 107. Batterie war allgemeines Gesprächsthema. Die abgemagerten, unausgeschlafenen Jungen mit den übernächtigten Augen schimpften auf den Major. »Er soll ja als erster flachgelegen haben!« Holt sagte aggressiv: »So geht’s ja auch nicht! Derartige Gerüchte sind Wehrkraftzersetzung!« Es waren Ziesches Worte. Holt ärgerte sich, ausgerechnet Ziesche nachgeäfft zu haben.
Er versuchte, Frau Ziesche anzurufen, aber das Leitungsnetz war durch die letzten Bombenabwürfe gestört. Schließlich bekam er auf einem Postamt Verbindung. »Warum kommst du nicht her? Ich war in Sorge um dich!« Ihre Worte stimmten ihn froh. Aber als er mit ihr zusammensaß, als sie das Radio anstellte, brachte der Wehrmachtbericht Nachrichten, die niederschmetternd auf ihn wirkten. Schlacht in Süditalien, Großangriffe auf Valmontone… Sewastopol gefallen. »Nordamerikanische Jagdflugzeuge führten gestern Angriffe auf Ortschaften in Nord- und Mitteldeutschland … Verluste … Nächtliche Terrorangriffe auf Kiel und Dortmund … Orte im rheinisch-westfälischen Raum …« – »Das sind wir«, sagte er, »die Bomber werden immer frecher.«
Frau Ziesche hörte die Berichte ungerührt an und fragte, warum er den Kopf hängen lasse, er sei ja heute unleidlich! Er versuchte, ihr sein Herz auszuschütten, und erzählte von Zemtzkis sinnlosem Tod. Aber auch sie sagte: »Nimm dich zusammen! Denk an die Ostkämpfer, dagegen bist du in der Sommerfrische bei deiner Batterie!« Als er sich mißmutig verabschiedete, meinte sie versöhnlich: »Sieh zu, daß du dich mal richtig ausschläfst. Nimm doch nicht alles so
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