Abenteuer des Werner Holt
Flugrichtung. »Neuer Zielweg!« rief Gottesknecht, und sofort: »Direkter Anflug!« Da fiel ihnen allen wieder das Müo ein, aber da war es längst zu spät.
Die Abschüsse schmetterten. Die Leute am Kommando-Hilfsgerät und am Entfernungsmesser duckten sich und lasen mit verzerrten Gesichtern die Richtwerte ab, bis sie in der Optik die Bomber ihre Last ausklinken sahen: da warf sich vom Major bis zum Luftwaffenhelfer alles in die Deckung der Brustwehr, nur Gottesknecht drückte zusammengekrümmt die Feuerglocke, und Kutschera stand barhäuptig und tobte: »Wollt ihr wohl das Müo einziehen, ihr Banditen!« Das Schießen setzte aus, nur zwei Geschütze feuerten in rascher Folge sinnlose Schüsse in den Himmel.
Auf einmal war Zemtzki da, der kleine Zemtzki, er kam wohl aus dem Keller, hatte einen hochroten Kopf und stocherte mit dem Zeigefinger in der Luft herum wie in der Schule: »Ich … ich … Herr Hauptmann!« Dann lief er wie ein Wiesel über den Acker und raffte die Tücher zusammen. Aber da war das entnervende Geräusch der Bombermotoren schon zugedeckt von einem hohlen Sausen, das anschwoll zu orkanartigem Rauschen. Die Erde bebte, die Geschütze schwankten und rissen an den Verankerungen, ein sekundenlanger Donnerschlag spaltete den Tag, und Rauchpilze und Erdfontänen wuchsen in eins zusammen und löschten die Sonne aus. Splitter jaulten über Geschützstände und B 2 hinweg. Dann war Schweigen. Und in das Schweigen hinein plauzten ein, zwei Geschütze Schuß auf Schuß, die anderen Kanonen fielen ein, das Feuerleitgerät arbeitete wieder, und wütend und unkonzentriert schoß die Batterie hinter dem abfliegenden Pulk her. Kein Geschütz war getroffen worden. Die B 2 sah etwas mitgenommen aus, aber auch dort war nichts passiert. Nur Zemtzki, Fritz Zemtzki, lag tot vor der Befehlsstelle.
Am Abend ging Holt durch die von Bombenkratern zerklüftete Stellung. In den Baracken waren die Scheiben zerklirrt, die Dächer beschädigt, überall wurde gebaut, gesägt und gehämmert. Ein Trupp Flaksoldaten von der Untergruppe legte neue Fernsprechleitungen.
Holt stand in der Baracke des Waffenmeisters, wo zwischen Werkzeugen und Ersatzteilen Zemtzki auf der Erde lag, Luftwaffenoberhelfer Fritz Zemtzki, mit einer Decke zugedeckt. HoltsAugen brannten. Das Entsetzen des Bombenteppichs war noch nicht verwunden. Lange stand er vor dem grauen Bündel. In einem Gefühl, das aus Angst und Neugier gemischt war, schlug er die Decke zurück. Da lag Zemtzki. Das Gesicht war unversehrt, war frech und jungenhaft wie je. Aber der halbe Brustkorb fehlte … Das Herz schlug nicht mehr. Als es noch schlug, hatte der Tote, dieser Zemtzki, den alten Gruber veralbert: »Bitte schön, der Holt spinnt, er kann nichts dafür, er hatte Gehirnscharlach!« Er hatte mit Holt zusammen in den Bergen gehaust und sich einst ein Schweineschwänzchen als Trophäe an die Mütze gesteckt. Immer aber hatte er frech und ein bißchen tückisch aus seinen blauen Augen geschaut, und frech und unschuldsvoll war er zeitlebens gewesen. Jetzt war er tot.
Die Tür knarrte. Gomulka suchte Holt, trat ein und verzog den Mund wie im Ekel. Die Zahnlücke entstellte ihn und verwandelte jede Bewegung des Gesichts in ein Grinsen. Holt bückte sich und schlug die Decke über den Leichnam.
»Am 1. Juni wär er siebzehn geworden«, sagte Gomulka. »Ja«, sagte Holt, »das wär er. Beinahe.«
Im Geschützstand bei Anton setzte sich Holt auf einen Lafettenholm. Gomulka lehnte am Eingang des Mannschaftsbunkers. Sie rauchten. Gomulka sagte: »Vielleicht bin ich der nächste!« – »Oder ich«, sagte Holt.
Gomulka lispelte ein wenig durch die Zahnlücke. »Es ist mir von Tag zu Tag unheimlicher geworden, daß sie uns ungeschoren lassen. Mein Vetter ist in Darmstadt eingesetzt. Dort lagen Anfang des Jahres vierzehn schwere Batterien, zehn Heimatflakbatterien und vier aktive. In der Nähe ist ein Werk, wo sie Panzer bauen. Die Amerikaner wollten es mehrfach angreifen, aber die vierzehn Batterien haben so genau geschossen, mit dem Kommandogerät, daß die Pulks ihre Bomben nicht ins Ziel gebracht haben. Da sind sie zwei Wochen lang Angriffe gegen die Batterien geflogen. Sie haben Hunderte von Bomben auf jede Feuerstellung geworfen. Sie haben sämtliche Funkmeßgeräte zerschmissen, und von den vierzehn Batterien sind grad noch zwanzig Geschütze übriggeblieben. Jeder dritte Luftwaffenhelfer ist gefallen, jederzweite verwundet. Das Werk ist obendrein kaputt. Es kommt
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