Abenteuer im Ferienlager
allerdings leidlich hübsch, die Stirn jedoch sehr niedrig, was dem Mädchen ein primitives Aussehen gab.
Mehlsen stand in der Pose eines Westernhelden mit dem Rücken zur Sonne. In der Hand hielt er eine Pistole.
Jetzt zielte er auf einen etwa 20 Meter entfernten Baum. Der Schuss krachte.
»Schon wieder ein Treffer!«,jubelte das Mädchen. »Du wirst Schützenkönig, Heiko.«
Heiko grinste geschmeichelt. Sein Gesicht erinnerte Tarzan an ein rohes Beefsteak und garantiert war Mehlsens Gemüt nicht viel anders.
»Willst du auch mal, Jutta?« Er hielt ihr die Waffe hin. Aber Jutta Kranig, Heikos Rockerbraut, schüttelte ihre rotgefärbten Locken. »Nee, so einen Ballermann fasse ich nicht an.«
»Du, Dieter?«
»Klar.«
Plaschke, der Unterhäuptling, nahm die Pistole mit der linken Hand, schoss aus der Hüfte und verfehlte den Baum. Ärgerlich probierte er’s nochmal – über Kimme und Korn –, aber es ging wieder daneben.
»Dazu muss man geboren sein«, sagte Heiko mit fettiger Stimme. »Ich habe noch nie vorbeigeschossen.«
»Was machste denn, wenn jetzt wer kommt?«, fragte Jutta. Besorgt klang ihre Frage allerdings nicht. »Wäre doch blöd, wenn man eine Bundeswehrpistole bei uns findet, die gestern erst geklaut wurde.«
Donnerwetter! Tarzan hätte sich fast verschluckt.
Mehlsen lachte. »Erstens habe ich hier noch ne Gaspistole in der Tasche. Mit der hätte ich geballert, würde ich sagen – falls es jemand ist, dem man antworten muss. Polypen. Oder vielleicht ’n Jäger. Jeder andere könnte mich kreuzweise. Na ja, und was das Durchsuchen betrifft – den möchte ich sehen, der mich anfasst.«
Das Mädchen riss gähnend den Mund auf, ohne sich die Hand vorzuhalten. Es sah unmöglich aus.
»Fahren wir heim!«, meinte sie. »Das hier ist doch langweilig.«
Was Mehlsen antwortete, verstand Tarzan nicht mehr. Er pirschte eilig zurück.
Seine Freunde kauerten hinter Büschen. Gaby kraulte Oskar, damit der Cocker keinen Rabatz machte. Tarzan setzte sich ins weiche Moos.
»Die kommen gleich. Also leise!« Flüsternd erzählte er. »So ein Glück!«, meinte Karl. »Eine geklaute Bundeswehrpistole hat er. Das kann ihn ins Gefängnis bringen. Wir...« »Pst! Da sind sie!«, wisperte Gaby.
Sie beobachteten, wie die drei abfuhren. Jutta Kranig hocktebei Mehlsen auf dem Soziussitz wie ein Affe auf dem Schleifstein. Die Motorräder röhrten in Richtung Straße, über einen Weg, der für Kraftfahrzeuge jeder Art – mit Ausnahme von landwirtschaftlichen Maschinen – gesperrt war.
»Damit fällt der Kampf morgen aus«, verkündete Gaby fröhlich. »Das ist jetzt nicht mehr nötig. Eine Anzeige bei der Polizei genügt.«
Tarzan schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Nicht? Wieso?«, fragte sie überrascht.
»Erstens: Es soll nicht aussehen, als würde ich kneifen. Zweitens: Wenn Mehlsen mit der Polizei Ärger kriegt, sind Volker Schmied und seine Freunde noch lange nicht gerettet. Nur wenn man die Rocker einschüchtert, lässt sich ihr Terror beenden. Ein besseres Mittel als ihren Anführer lächerlich zu machen, gibt’s nicht. Drittens: Mehlsen hat eine Abreibung verdient. Eine Gefängnisstrafe – die wahrscheinlich zur Bewährung ausgesetzt wird – macht doch auf den keinen Eindruck. Höchstens, dass sie seinen Hass auf die Menschheit noch steigert.«
»Wenn man dich so hört«, sagte Gaby traurig, »könnte man denken, du prügelst dich gern.«
»Du weißt, dass es mir zuwider ist. Judo ist Sport. Dass er sich bei solchen Gelegenheiten als nützlich erweist, steht auf einem anderen Blatt.«
»Außerdem«, bemerkte Karl, »hast du mit deinen Argumenten Recht. Was willst du nun machen?«
»Wir müssen rauskriegen, was es mit dieser Pistole auf sich hat. Ich frage Herrn Kaus. Die Presse erfährt’s doch zuerst, wenn so was passiert.«
Herr Kaus war Redakteur beim KREISBOTEN, der meist- gelesenen Zeitung dieser Gegend. Vor einer Woche hatte Tarzan ihn, Kaus, kennen gelernt. Die beiden verstanden sich. Tarzan konnte mit Hilfe rechnen.
»Wuff!«, machte Oskar. Er lief ein paar Schritte rückwärts zum Weg. In seiner Sprache bedeutete das: Nun kommt endlich, verdammt noch mal!
»Machen wir uns auf die Socken!«, lachte Tarzan. »Oskar ist schon ungeduldig.«
Durch den heißen Nachmittag radelten sie zur Straße. Dort war Betrieb. Autos mit Urlaubern pendelten zwischen Campingplatz und Ort hin und her. Die Kinder fuhren zum Ort.
Verlag und Redaktion des KREISBOTEN befanden sich in einem
Weitere Kostenlose Bücher