Aber bitte mit Sake
durchqueren, in den 43. Stock fahren und in einen anderen Fahrstuhl umsteigen muss, der mich in den 56. Stock bringt. In den 56. Stock! Ich schlucke.
»Das ist aber sehr hoch«, sage ich zu ihr. »Was passiert denn bei einem Erdbeben? Entschuldigen Sie bitte, dass ich frage, das ist kein Misstrauen, ich habe nur in diesen Tagen zum ersten Mal in meinem Leben einen Alarm erlebt.«
Die Empfangsdame lächelt mich an. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, wir in Japan leben seit Jahrhunderten mit Erdbeben und haben auch die Bauweise unserer Gebäude darauf ausgerichtet, dass sie große Erschütterungen möglichst gut überstehen. Die traditionellen japanischen Holzbauten sind flexibel und mit ihren Papierwänden eigentlich recht tauglich. Wolkenkratzer wie dieser hier sind wohldurchdachte Konstruktionen, die tief im Boden verankert werden, Stahlgebilde, die sich auf elastischen Fundamenten flexibel bewegen können, selbst wenn die Erde wackelt. So können Sie ganz ohne Bedenken und mit gutem Gefühl einen Drink in der Bar unseres Hauses nehmen. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen.«
Wahrscheinlich wird sie das oft gefragt , denke ich, während ich durch die Halle laufe und in den 43. Stock fahre. Dann öffnen sich die Türen und geben den Blick auf eine Lounge frei, in der einige Paare vor der erleuchteten Stadtkulisse ihren Drink nehmen. Die Empfangsdame hat mir gesagt, ich solle rechts abbiegen, also folge ich einem langen Flur, durchquere eine Art moderne, in den Gang integrierte Bibliothek, die ich wiedererkenne, weil sie auch im Film zu sehen ist und betrete den Fahrstuhl, der mich geräuschlos in den 56. Stock bringt. Als sich die Tür öffnet, ertönt bereits leise Jazz-Musik. Eine Angestellte des Hotels eilt mir entgegen.
»Herzlich willkommen«, sagt sie und deutet eine Verbeugung an. »Sind Sie Gast in unserem Hotel?«
»Leider nicht.« Ich zögere. »Aber ich habe gehört, dass man von hier aus einen einmaligen Blick auf Tokio hat. Ich würde daher gerne einen Drink nehmen.«
»Gerne! Sie müssen aber wissen, dass wir für externe Gäste 2000 Yen berechnen.« Eintritt in einer Hotelbar? Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu zahlen, es sei denn, ich möchte unverrichteter Dinge wieder umkehren. Also zücke ich mein Portemonnaie und hole die umgerechnet knapp 20 Euro heraus, was mir einen pikierten Blick meines Gegenübers einbringt.
»Sie müssen natürlich nicht jetzt bezahlen, wir setzen den Betrag auf die Rechnung.« Dann bedeutet sie mir, ihr zu folgen. Etwas beschämt trotte ich hinter ihr her. Ich hätte mir natürlich denken können, dass man hier nicht wie in einer x-beliebigen Jazz-Kaschemme den Eintritt an der Tür bezahlt. Während wir das erste Drittel des Raumes durchqueren, sehe ich mich um. Gedämpftes Licht. Alle Tische sind besetzt, kleinere Grüppchen oder Paare, die sich angeregt unterhalten. Viele der Gäste sind Amerikaner und Europäer. Ein Jazzduo spielt in wohltemperierter Lautstärke ein paar Klassiker.
»Wäre es in Ordnung für Sie, hier Platz zu nehmen? Momentan sind alle Tische besetzt.« Sie zeigt auf den langen Tresen in der Mitte des Raumes, an dem man sich gegenübersitzen kann und an dem in Lost in Translation Bill Murray Scarlett Johansson kennenlernt.
Ich nicke. »Natürlich.«
Nachdem sie sich entfernt hat, lasse ich mich auf einen der Hocker gleiten. Von hier aus habe ich einen guten Blick auf die Musiker, hinter deren Rücken sich auf der anderen Seite der Fensterfront, glitzernd und verheißungsvoll das nächtliche Tokio erstreckt. Das Lichtermeer der Häuserfluten reicht bis zum Horizont. Selten habe ich einen so spektakulären Ausblick gehabt. Geräuschlos nähert sich einer der Kellner. »Haben Sie schon gewählt?«
Ich werfe einen Blick in die Karte. Der Weißwein der untersten Preiskategorie kostet dreizehn Euro. Ich bestelle den zweitgünstigsten, ein Glas St. Jaques, dazu eine Schale Edamame , junge Sojabohnen, die in Wasser gegart und mit Salz bestreut serviert und hier als Snack gegessen werden. Dann blicke ich wieder geradeaus. Tokio bei Nacht aus der Vogelperspektive ist umwerfend. Stundenlang könnte ich hier in dieser Bar sitzen und den Blick genießen. Ich komme doch auch ohne Raffaele ganz gut zurecht. Ich schaffe das auch allein , denke ich und nehme einen tiefen Zug aus meinem Glas.
Neben mir lässt sich ein Mann auf einem der Barhocker nieder. Dann bestellt er einen Whiskey, zwinkert mir zu und sagt:
»It’s Suntory-time«. Er
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