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Aber bitte mit Sake

Aber bitte mit Sake

Titel: Aber bitte mit Sake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Phillips
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bin ich doppelt gespannt auf die kommenden sechs Wochen an Bord des Peaceboats, allein unter tausend Japanern.

Lost in Translation, oder: Warum der Japaner in der Öffentlichkeit schläft
    Eine Kolumne von Dana Phillips
    Liebe Komplizinnen! Der Japaner schläft, im Gegensatz zu mir, nicht nur im Kapselhotel, sondern immer und überall. Und weil das nicht wie bei uns die Ausnahme, sondern die Regel ist, gibt es für das »Schläfchen zwischendurch« auch einen eigenen Namen: Inemuri , was übersetzt so viel heißt wie Anwesenheitsschlaf. Wir Europäer tun uns damit schwer, in der Öffentlichkeit einzunicken, denn wir fürchten den Kontrollverlust. Die Japaner hingegen lieben den Sekunden- und Minutenschlaf. Ob in der S-Bahn, in der Schule, auf der Parkbank, im Parlament, sogar auf Partys und wichtigen Meetings – überall nickt der Japaner ein. Und im Gegensatz zu Deutschland, wo es als grob unhöflich gilt, bei einem Geschäftstermin einzuschlafen, ist das in Japan gang und gäbe – frei nach dem Motto: Dabei sein ist alles! Hier gilt es als erstrebenswert, den Nachtschlaf zu reduzieren und mit wenig Schlaf auszukommen. Denn Arbeit ist das allerwichtigste in Japan. Viele Japaner schuften nicht nur bis spät in die Nacht, sondern auch am Wochenende und nehmen die wenigen Urlaubstage, die ihnen zustehen, nicht einmal in Anspruch. Kein Wunder, dass es im Land der aufgehenden Sonne auch ein Wort für Tod durch Überarbeitung gibt: Karoshi . Den Japanern ist es einfach ungemein wichtig, ein Teil der Gesellschaft zu sein und ihr möglichst viel Zeit und Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Dazu gehört es auch, früh aufzustehen. Langschläfer gelten in Japan als unzuverlässig. Da aber auch Japaner ganz normale Menschen sind, muss das nächtliche Schlafdefizit anderweitig ausgeglichen werden. Und so wird »gepowernappt«, wann immer es geht. Dabei bewahrt der Japaner im Idealfall selbst im Schlaf die Haltung: Denn wer mit offenem Mund, tropfendem Speichel und weitgespreizten Beinen vor sich hin schnorchelt oder gar den Kopf auf die Schulter des Nachbarn fallen lässt, dem droht Gesichtsverlust. Daher haben kreative Gesellen »Accessoires« erfunden, die genau davor schützen sollen: Ein Helm, bei dem sich das Visier selbständig schließt, sobald der Kopf nach vorne fällt, Gurte, die Beine zusammen halten oder Schilder, auf denen man seine Zielstation notieren kann, damit die Mitreisenden einen im Fall des Falles rechtzeitig wecken können. Ganz ernst zu nehmen sind die Chindogu , diese humoristischen Erfindungen, natürlich nicht. Beim Schlafen in der Öffentlichkeit geht es übrigens nicht nur darum, sich eine wohlverdiente Pause zu gönnen, sondern es ist auch ein beliebtes Mittel, um sich sozial abzuschotten. Denn wer schläft, kann nichts falsch machen und ist nicht verpflichtet einzugreifen, falls die Ereignisse Zivilcourage verlangen. Deshalb steht Inemuri nicht nur dafür, zu ruhen, sondern vor allem dafür, sich tot zu stellen.
    Sayonara! Ihre Dana.

5

    Gericht: Rinderzunge mit schaumigem Tofu
    Japaner des Tages: Der Fischer, der freiwillig in den Tsunami fuhr
    Place to be: Der Hafen von Yokohama
    Erkenntnis: Manchmal hängt einem nicht nur die eigene Zunge zum Hals hinaus
    T okio-Station. Ratlos blicke ich auf den riesigen Plan, der vor mir an der Wand hängt. Die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, ist immer noch eine Herausforderung. Mein Ziel: Yokohama. Dort liegt der Hafen, von dem aus das Peaceboat in See sticht. Ich laufe vorbei an Hunderten Japanern, von denen die meisten einen Mundschutz tragen, an diversen Snackbars, an denen sie im Stehen Nudeln schlürfen, und an Zeitungsgeschäften, die vor allem japanische Mangas, also Comics, in der Auslage liegen haben. Auf der Suche nach dem richtigen Gleis stoppe ich an einem der vielen Stände, um mir etwas zu essen zu besorgen. Nahrungsaufnahme hat mir in Krisenzeiten schon immer geholfen. Ich lasse meinen Blick über die Auslage schweifen, in der sich Fischköpfe, schwammige Fleischstücke und verschiedene Arten von Algen zu einem Stelldichein getroffen haben. Sicherheitshalber entscheide ich mich für Tempura , frittiertes Gemüse, das ich immerhin aus Deutschland kenne. Mit frischer Verpflegung eingedeckt folge ich den farbigen Schildern der verschiedenen S-Bahn-Linien und begebe mich auf einen der Bahnsteige. In der Mitte angekommen entdecke ich, dass die Route der S-Bahn tatsächlich meinen Zielort Yokohama ansteuert. Schwerfällig ziehe

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