Aber bitte mit Sake
Ihnen gesehen?« Nun schauen mich auch die anderen Fahrgäste an, die bei meinen Worten erschrocken die Augen geöffnet haben. Einen Moment denke ich, sie würden mir helfen, aber dann klappt ein Japaner nach dem anderen die Augen wieder zu und versinkt erneut in seinem Scheinschlaf. Aha. So funktioniert das hier also. Der Perversling scheint sich sicher. Mit einer unauffälligen Bewegung richtet er erneut seine Kamera aus. Ich knurre ihn an.
»Hau ab oder ich rufe die Polizei! Die Polizei, hast du gehört?« Das englische Wort Polizei scheint er zu verstehen, denn als sich das nächste Mal die Türen öffnen, verschwindet er so unauffällig, wie er gekommen ist. Das Schulmädchen schaut mich an, als ob ich verrückt sei. Eine Station später steigt auch sie aus, ohne sich von mir zu verabschieden. Es ist frustrierend, dass ich nicht in der Lage bin, sie zu warnen, ihr zu erzählen, dass sie gefilmt wurde, oder ihr nahezulegen, das nächste Mal vielleicht doch einen längeren Rock anzuziehen.
Ernüchtert laufe ich an den blinkenden Reklameschildern von Akihabara vorbei und schüttle den Kopf über die Maid-Cafés, in denen die Kellnerinnen im Dienstmädchenoutfit ihre männlichen Gäste behandeln wie Hauspatrone oder Gebieter. »Willkommen zu Hause, Meister«, rufen sie den Männern zu, um die geheimen Fantasien der Otaku , der Nerds, zu befriedigen. Wer statt mit Dienstmädchen lieber mit Haustieren kuschelt, geht einfach in ein Katzencafé, in dem man für etwa 6 Euro pro halbe Stunde Katzen streicheln und mit ihnen spielen darf – zur Beruhigung von Körper und Geist. Am späten Nachmittag wandere ich durch die luxuriösen Shoppingstraßen von Ginza, in denen hinter den Schaufenstern moderner Gebäudekomplexe die neuesten Trends feilgeboten werden, und lasse mich maßregeln, als ich zum wiederholten Mal eine Umkleide mit Straßenschuhen betrete. Anschließend besuche ich den Schrein von Asakusa, eine der Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt. Hier weiß ich zumindest, wie ich mich zu verhalten habe, und das Lotterie-Orakel gibt es aufgrund des hohen Touristenaufkommens auch gleich zweisprachig. Dieses Mal meint das Schicksal es gut mit mir: Dein Glück wird dir in Zukunft einige Chancen eröffnen. Der helle Mond wird durch die ziehenden Wolken scheinen. Du wirst eine angesehene Person von hohem gesellschaftlichen Rang treffen. Seine Unterstützung wird dir ein glückliches Leben bescheren. Dein Wunsch wird sich erfüllen. Die Person, auf die du wartest, wird kommen. Auf Reisen gehen ist eine gute Idee.
Na bitte, denke ich beruhigt. Jetzt kann ich ohne Sorge mit dem Peaceboat in See stechen. Als ich das Gelände des Schreins verlasse, dämmert es bereits. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als mit irgendjemandem ein anständiges Gespräch zu führen, denn nach ein paar Tagen in Tokio fühle ich mich tatsächlich wie in dem Film Lost in Translation . Wie Scarlett Johansson, oder besser gesagt, wie eine Mischung aus Scarlett Johansson und Bill Murray. Vielleicht sollte ich in die Bar des Park Hyatt Hotels gehen, wo die Dreharbeiten stattgefunden haben. Beschwingt von dieser Idee suche ich auf dem Stadtplan die Adresse und die nächste U-Bahn-Station heraus, steige ein paar Mal um und schließlich in Tocho-Mae aus der Bahn. Nachdem ich die Station verlassen habe, laufe ich eine lange, dunkle Straße entlang. Zwei Unterführungen später begegne ich einem Penner, der in drei Müllsäcken sein Hab und Gut hinter sich herzieht. Der erste Obdachlose, den ich in Tokio sehe. Es muss doch noch mehr von ihnen geben; ich frage mich, wo sie sind. Meinen Schritt beschleunigend, erreiche ich wenig später das Park Hyatt Hotel. Es erhebt sich neben einigen Bürokomplexen in der Dunkelheit; die Gegend ist wenig einladend. Langsam laufe ich die Einfahrt zum Haupteingang des Hotels hoch, das hell erleuchtet vor mir liegt. Eine Empfangsdame begrüßt elegant gekleidete Gäste, die aus einem ankommenden Taxi steigen. Sie lächelt freundlich, dennoch merke ich ihr die Verwunderung über die Tatsache an, dass ich allein und zu Fuß gekommen bin.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt sie auf Englisch und es ist ein wenig albern, wie sehr ich mich darüber freue, jemanden zu treffen, der in der Lage ist, mich in einer mir verständlichen Sprache anzusprechen, auch wenn unsere Kommunikation sich darauf beschränkt, dass sie mir den Weg zur New York Bar zeigt. Sie erklärt mir, dass ich, um dort hinzukommen, die große Eingangshalle
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