Aber bitte mit Sake
ich meine Koffer in den Waggon und drängle mich in die hinterste Ecke. Erleichtert lasse ich mich nieder und hole die Plastikschale mit Tempura aus der Tüte. Während ich esse, merke ich, dass die Japaner mich aus den Augenwinkeln irritiert anschauen. Ist es in Japan womöglich verboten, in der Bahn zu essen? Trotzig verzehre ich zwei weitere Stücke des frittierten Gemüses – irgendeinen Vorteil muss ich ja dadurch haben, dass ich kein Japanisch verstehe. Mir gegenüber sitzen drei Japaner in Reih und Glied, sie sind, wie es sich für Japaner in öffentlichen Verkehrsmitteln gehört, allesamt in Tiefschlaf gefallen. Das Mädchen hat sich seine langen, schwarzen Haare wie einen Vorhang ins Gesicht gestrichen. Der ältere Mann neben ihr schnarcht, sein Kinn ist auf seine Brust gesackt. Zu seiner Rechten hängt ein junger Mann schief in der Sitzbank, sein Kopf ist seitlich in den Nacken gefallen und ein Speichelrest zieht sich in langen Fäden von seinem Mundwinkel herab auf die Schulter. Verwundert betrachte ich diese drei merkwürdigen Gestalten noch einmal, bevor ich in Yokohama schmunzelnd die Bahn verlasse. An den Anblick von in der Öffentlichkeit schlafenden Menschen habe ich mich immer noch nicht gewöhnt.
Nachdem ich das Gepäck in meinem Hotel in Yokohama abgestellt habe, erklärt mir die Dame an der Rezeption in perfektem Englisch den Weg nach Chinatown , einem Viertel, das ganz in der Nähe liegt. Interessiert schlendere ich durch die Straßen. Es ist kalt und der Wind weht mir eisig um die Ohren. Ich betrete einen der Convenience-Stores, die es in Japan so häufig gibt und in denen es allerlei nützliches und unnützes Zeug zu kaufen gibt – von kleinen Snacks und Fertiggerichten über Computerspiele bis hin zu Zeitschriften, die die meisten Japaner direkt im Geschäft lesen, anstatt sie zu kaufen und mitzunehmen. Die Japaner, die gerne die englische Sprache verballhornen, nennen die Stores kurz Combini und nicht Convini – was naheliegend wäre. In der japanischen Sprache existiert kein V, so dass dieses oft durch ein B ersetzt wird. Ich bleibe vor einem Regal stehen, in dem es diverse Artikel zu kaufen gibt, mit deren Hilfe man sich den Winter vom Leib halten kann. Die Japaner haben zum Beispiel ein anti-allergenes Sofortwärmepflaster erfunden, das mittlerweile zum Verkaufsschlager avanciert und in verschiedenen Varianten erhältlich ist. Wärmende Sohlen, heiße Rückenpflaster oder Taschenwärmer, die man in Fünfer-, Zehner- oder Zwanziger-Wegwerfpacks erstehen kann. Ich entscheide mich für die selbstheizenden Sohlen und klebe sie mir direkt in meine Schuhe. Wenig später kriecht die Wärme wohlig zwischen meinen Zehen hoch. So ausgerüstet beschließe ich, trotz der Kälte den Hafen ausfindig zu machen, um am nächsten Morgen vor dem Einchecken nicht unnötig Zeit damit zu verbringen, das Schiff zu suchen. Nach einem halbstündigen Fußmarsch erreiche ich den Hafen von Yokohama, der still und verlassen vor mir liegt. Mittlerweile ist es später Nachmittag und es wird langsam dunkel. Die Lichter der umliegenden Häuser spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Auf der anderen Seite des Hafenbeckens zeichnet sich eine beeindruckende Skyline aus ein paar futuristisch anmutenden Hochhäusern und einem Riesenrad ab. In der Ferne entdecke ich das Schiff und erreiche über einen breiten hölzernen Kai das Terminal. Langsam schlendere ich an dem Kreuzfahrtdampfer vorbei, der für die nächsten Wochen mein Zuhause sein wird. Dafür, dass er, wie ich im Vorfeld im Internet gelesen habe, schon in den frühen Sechzigerjahren gebaut wurde, sieht er eigentlich noch ganz passabel aus. Er könnte zwar an der einen oder anderen Ecke mal wieder gestrichen werden und auch die Ausstattung ist sicher nicht mehr die Neueste, aber zumindest kann ich den Glanz vergangener Zeiten noch erahnen. In den Tiefen meiner Handtasche klingelt das Handy.
»Hallo?«, rufe ich aufgeregt, nachdem ich den Anruf angenommen habe. Hoffentlich ist es Raffaele.
»Dana? Hier ist Kimiko! Ich wollte nur mal hören, ob du gut in Yokohama angekommen bist! Wir wollten uns doch vor der Abreise noch treffen.« Kimiko ist die Koordinatorin für die internationalen Gäste auf dem Peaceboat und lebt, wenn sie nicht gerade auf Reisen ist, in Yokohama. Als sie gehört hat, dass ich bereits einen Abend vor Abfahrt in der Stadt sein würde, hat sie sich sofort bereit erklärt, sich um mich zu kümmern.
»Kimiko, wie schön, dich zu hören! Du
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