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Aber bitte mit Sake

Aber bitte mit Sake

Titel: Aber bitte mit Sake Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Phillips
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scheint Engländer zu sein und hier im Hotel zu wohnen, denn er hat die Bar ohne Jacke betreten. Ich bestelle ein weiteres Glas Wein. Vielleicht ist es Zeit, neue Freundschaften zu schließen. Mutig wende ich mich ihm zu.
    »Ich plane einen Gefängnisausbruch. Erst aus dieser Bar, dann aus dieser Stadt, dann aus diesem Land. Sind Sie dabei oder nicht?«, zitiere ich den berühmten Satz von Bill Murray aus Lost in Translation und setze mein schönstes Lächeln auf.
    Mein Nachbar schaut mich irritiert an. Dann reißt er sich zusammen und reicht mir die Hand. »William, freut mich. Ich bin auf Hochzeitsreise«, sagt er dann und zeigt mir seinen beringten Finger. »Meine Frau ist schwanger und fühlt sich nicht wohl, deswegen schläft sie unten in unserem Zimmer. Mir sind also leider die Hände gebunden.« Er nimmt sein Glas, nickt mir zu, steht auf und lässt sich an einem Fenstertisch nieder, der gerade frei geworden ist. Offensichtlich hat er den Film nicht gesehen oder besitzt keinen Funken Humor. Es wäre auch zu schön gewesen, hier in Tokio so schnell einen Verbündeten zu finden. Ich leere mein Glas, bezahle und verlasse die New York Bar. Gerade als ich die Empfangshalle durchquere, erreicht mich eine SMS von meiner Chefin Carla. »Bitte heute Abend im Kapsel-Hotel übernachten! Zimmer schon reserviert. Frag an der Rezeption nach einer Zahnbürste. Sorry für den spontanen Überfall! Carla« In einer zweiten SMS folgt eine Adresse, mit der ich nicht sonderlich viel anfangen kann.
    Seufzend ergebe ich mich in mein Schicksal, kehre dieser friedlichen Oase den Rücken und stürze mich in das pulsierende nächtliche Großstadtleben. Wenig später setzt mich das Taxi vor dem Kapselhotel ab. Erst nachdem ich meine Schuhe ausgezogen und in ein Schließfach eingesperrt habe, erhalte ich an der Rezeption den Schlüssel mit der für mich vorgesehenen Kapselnummer. Ich bin neugierig, wie mein Zimmer aussehen wird, denn alles, was ich über die Kapselhotels weiß, in denen Geschäftsleute sich kosten- und platzsparend betten können, ist, dass sie gerne auch mal als Waben-, Schließfach- oder auch Sarghotels bezeichnet werden. Und das klingt nicht gerade einladend.
    Erst als ich den Gang erreiche, in dem sich mein »Zimmer« befindet, begreife ich, dass im Kapselhotel tatsächlich auch in Kapseln übernachtet wird. Statt normaler Räume liegen links und rechts des Flures etliche wabenartige Hohlräume nebeneinander, die nur mit Rollos verschlossen sind. Meine Kabine ist in der unteren Reihe. Gespannt öffne ich den Sichtschutz und spähe hinein. Meine neue Bleibe ist ein 2x1 Meter langer Plastikverschlag und nur etwa einen Meter zwanzig hoch. Bevor ich hineinkrieche, husche ich schnell in das Gemeinschaftsbad, wasche mich notdürftig und verstaue meine Kleidung in einem Spind. Zurück in meiner Wabe schalte ich das Licht an und lasse das Rollo herunter. Skeptisch starre ich an die Plastikdecke. Ich fühle mich eingeengt. Immerhin gibt es einen Alarmknopf. Ich hoffe nicht, dass ich ihn brauchen werde. Dann lösche ich das Licht und versuche zu schlafen, werde aber durch die ständig zu mir durchdringenden Geräusche aus den Nachbarkabinen davon abgehalten. Schnarchen, stöhnen, gähnen – alles kommt ungefiltert bei mir an. Wenig später, ich muss tatsächlich kurz eingeschlafen sein, erschrecke ich fast zu Tode, als jemand mit einem hektischen Griff mein Rollo nach oben reißt, nur um es kurz darauf wieder fallen zu lassen. Scheinbar hat er sich in der Kapsel geirrt.
    Am nächsten Morgen wache ich wie gerädert auf, hole meine Siebensachen aus dem Spind und passiere auf dem Weg nach draußen einen Automaten, aus dem man sich frische Unterwäsche ziehen kann. In Japan gibt es also nicht nur Getränke, Essen, Spielzeug und Telefonkarten aus der Box – auch Socken, Hemden oder frische Höschen werden hier auf diese Art angeboten. Die sagenumwobenen Automaten mit gebrauchter(!) Unterwäsche existieren also vermutlich nicht wirklich, möglicherweise liegt hier aber der Ursprung dieser Legende.
    Die Zeit in Tokio neigt sich dem Ende zu. Zurück in meinem Hotel in Akasaka, dessen Zimmer mir nach meinem Aufenthalt im Kapselhotel geradezu riesig erscheint, habe ich gerade noch genug Zeit, um auszuchecken. Schade, denn in Tokio gibt es sicher noch viele Merkwürdigkeiten zu entdecken. Eines haben mir die Erlebnisse der letzten Tage aber bereits deutlich gemacht: Zwischen der deutschen und der japanischen Kultur liegen Welten. Nun

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