Aber dann kam der Sommer
mich eine halbe Stunde lang in der schneeweißen Wanne im duftenden Badesalzwasser.
Ich hatte Zeit genug, dieses Vergnügen nach Belieben in die Länge zu ziehen, denn Tante Agnete erschien nie vor zwölf Uhr.
Anschließend setzte ich mich vor den Toilettentisch, um mich zu verschönen. Ich verlor schnell die frische Gesichtsfarbe, die ich daheim durch die Hausarbeit und die Bewegung in der freien Luft bekommen hatte, und spendierte mir darum die erste Büchse Rouge meines Lebens, über das Rouge mußte Puder gelegt werden. Das nahm Zeit in Anspruch. Dann fing ich an, mir eine neue Frisur zu machen. Die Haare wurden sorgfältig toupiert. Dazu brauchte ich noch mehr Zeit.
Meine Hände waren nun nicht mehr so rauh wie die von Margit. Tante Agnete hatte nämlich gleich am ersten Abend die Bemerkung fallen lassen:
„Du liebe Zeit, was hast du denn mit deinen Händen gemacht, Unni? Was für ein Jammer, daß sie so rot sind, denn sie sind wirklich schön geformt.“
Daß sie schön geformt seien, milderte den Vorwurf etwas. Ich hatte nie meine eigenen Hände studiert. Ob sie wirklich so weiß und schön werden könnten wie die von Tante Agnete – mit gebogenen, hellrot lackierten Nägeln?
Nach Ablauf einer Woche hatte ich sie soweit. Und ich bekam auch bald Übung darin, den Nagellack genau richtig aufzutragen – ganz dünn und gleichmäßig. Na bitte! Nun schien ich endlich so auszusehen, wie Tante Agnete mich haben wollte.
Vormittags waren wir immer mit dem Wagen unterwegs, nachdem ich Nipp gebürstet und ihm ein Deckchen und Gummischühchen angelegt hatte. Das erste Mal dachte ich, ich hörte nicht recht, als es hieß, ich solle ihm Schuhe anziehen. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an alles, sogar an Hundeschuhe.
Dann fuhren wir los, entweder zum Einkaufen in die Stadt, oder wir machten eine Spazierfahrt über Land. Bei diesen Fahrten lernte ich Tante Agnete allmählich näher kennen.
Eines Tages – wir waren in der Stadt gewesen – kam Tante Agnete plötzlich der Einfall, sie wolle nach Sommerlund hinausfahren und dort Tee trinken. Sommerlund liegt ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Der Fahrer bekam den Auftrag und startete. Da griff die Tante zum Mikrophon und sagte:
„Lönnedal, Sie müssen tanken!“
Lönnedal stoppte, stieg aus, öffnete die Tür zu uns und erwiderte: „Wir haben genug Benzin, gnädige Frau.“
„Tun Sie, was ich Ihnen sage, sonst bleiben wir womöglich unterwegs sitzen.“
Lönnedal antwortete nicht, sondern fuhr zur nächsten Tankstelle. Es wurde Benzin nachgefüllt, und Tante Agnete erhielt eine Rechnung über vier Liter.
„Da sehen Sie, daß wir nachtanken mußten, Lönnedal. Aber Sie müssen ja immer widersprechen.“
„Der Tank faßt fünfzig Liter, gnädige Frau, und es fehlten nur vier.“
„Aber es fehlte Benzin! – Nun fahren Sie los!“
Ich kochte vor Zorn für Lönnedal. Später verstand ich, daß er selber nicht die Spur kochte. Für solche Dinge hatte er ja sein gutes Gehalt.
Wir fuhren und fuhren immer weiter. Die Natur um uns war wunderschön. Rotes und goldenes Laub leuchtete in der Herbstsonne, und dazwischen blitzte hier und da in einer Wegbiegung die See auf. Doch heute konnte ich mich darüber nicht so freuen, wie ich es sonst wohl getan hätte, ich war zu wütend. So ein launenhafter Troll, diese Tante! Ob sie nicht vielleicht jetzt doch ein bißchen verlegen war?
Da fragte der Troll im alltäglichsten Ton: „Spielst du Bridge, Unni?“
Ich mußte mich erst einen Augenblick sammeln, ehe ich antworten konnte: „Bridge? Nein! Ich spiele überhaupt nicht Karten.“
„Was? Du spielst nicht Bridge?“ fragte Tante Agnete in einem Tonfall, als hätte ich behauptet, ich wüsche mich nie.
Mein Zorn von vorhin mußte wohl noch zu fest in mir gesessen haben. Jedenfalls fiel mein Ton schärfer aus, als es beabsichtigt war, und auch meine Worte waren nicht geschickt gewählt.
„Nein!“ sagte ich. „Irgendein berühmter Mann soll einmal gesagt haben, daß Leute, die Bridge spielen, Karten miteinander austauschen anstelle von Gedanken. Das ist auch meine Meinung. Bei uns daheim haben wir immer genug Gedanken auszutauschen.“
Tante Agnete schien zum Glück die ganze Unverschämtheit dieser Bemerkung nicht zu begreifen. Sie war allzu erfüllt von der erschütternden Tatsache, daß eine junge Dame von einundzwanzig Jahren nicht Karten spielen konnte.
„Ich hoffe, du wirst es rasch lernen“, sagte sie, „ich hatte nämlich damit gerechnet,
Weitere Kostenlose Bücher