Aber dann kam der Sommer
mit den Tränen hinunter. Ich fing an, die Empiremöbel, das Badezimmer und das Frühstückstablett auf der Bettdecke zu verwünschen. Ich wollte heim in mein kleines grüngestrichenes Bett, zu Mutti und Vati, zu Nora und zur Hausarbeit. – Dies hier ertrug ich nicht!
Aber durch gekochte Sahne kann man wahrhaftig die Fähigkeit zur Selbstbeherrschung ganz ungeheuer entwickeln. Gerade hatte ich den letzten Löffel voll davon geschluckt, da ließ sich die Tante herbei zu behaupten: „Zu meiner Zeit mußten wir alles essen, was uns vorgesetzt wurde. Dafür bin ich meinen Eltern heute noch dankbar.“
Da fuhr ein kleiner Teufel in mich. „Kannst du wirklich alles essen, Tante Agnete?“
„Ja, selbstverständlich!“
„Auch Vanillecreme?“ fragte ich.
Doch in diesem Augenblick bellte Nipp, und vielleicht war es ein Glück, daß die Tante deshalb nicht hörte, was ich sagte.
Den ganzen Nachmittag verbrachte ich an dem weißen Empireschreibtisch und schrieb Seite um Seite an Nora.
Familientag
Als ich am folgenden Morgen mit einem „Guten Morgen, gnädiges Fräulein!“ geweckt und mir das Kaffeebrett hingestellt wurde, setzte ich mich im Bett auf und rief Margit zurück, die gerade zur Tür hinausgehen wollte.
„Margit – einen Augenblick bitte!“
Margit drehte sich um und kam zu mir zurück.
„Hören Sie, Margit, wer kommt eigentlich heute?“
„Na, die ganze Familie!“
„Gut, aber aus wem alles besteht diese Familie? Berichten Sie das mal genau, Margit! Ich kenne doch niemanden davon, und ich habe richtiges Lampenfieber.“
Margit fing an aufzuzählen, wobei sie die Finger zu Hilfe nahm. „Da ist zuerst der Schiffsreeder Brahmer mit seiner Frau. Die Frau ist die Schwester von unserer gnädigen Frau.“
Ich fragte, ob Frau Brahmer meiner Tante ähnlich sei.
„Aber nein, Frau Brahmer ist furchtbar nett“, sagte Margit. Sie merkte gar nicht, daß sie etwas Auffallendes gesagt hatte. „Das waren zwei“, fuhr sie fort und griff nach dem Mittelfinger, „dann ist da Direktor Lindeng. Er ist der Sohn von dem Bruder unserer gnädigen Frau. Ja, also der ist tot – ich meine, der Bruder – und seine Frau auch. Aber der Sohn, der kommt her!“
„Und wie ist er?“
Margit holte tief Luft. „Ja – das ist ein sehr schöner Mann! Die gnädige Frau ist mächtig begeistert von ihm.“ Weiter ließ sich Margit nicht über Herrn Direktor Lindeng aus, sondern sie hatte bereits den Ringfinger vor.
„Und dann die Frau vom Herrn Direktor. Die ist sehr nett. Aber es ist nicht ganz sicher, ob sie kommen wird, denn sie ist wohl nicht recht zupaß.“
„Aha, sie ist wohl etwas zart und anfällig?“ fragte ich.
„Ach nein“, lächelte Margit, „aber sie wird bald ein Kind bekommen.“
„Ist sie vielleicht die Dame, die Else heißt?“ fragte ich weiter.
„Ja, das ist sie! – Das waren also – ich muß nachrechnen – , das waren vier. Dann kommt bestimmt Herr Doktor Bogard. Er ist der Hausarzt von der gnädigen Frau.“
„Also ist er es wohl, der sich mit der früheren Gesellschafterin meiner Tante verheiratet hat“, mutmaßte ich.
„Na, gewiß, er hat sich vor etwa einem Monat mit Fräulein Thome verheiratet. – Nun haben wir sechs. Dann wird wohl auch die Witwe von dem anderen Bruder der gnädigen Frau kommen. Das ist Frau Lindeng, Hanna Lindeng! Oh, die ist vielleicht reizend, das können Sie mir glauben, gnädiges Fräulein. Eine Freundin von mir ist dort als Stubenmädchen. Also Sie glauben gar nicht, wie nett Frau Lindeng zu ihren Mädchen ist! Sie ist übrigens sehr christlich, die Frau Lindeng, und so eine feine Dame, glauben Sie mir.“
Ich mußte Margit ablenken, die vor Begeisterung überzufließen drohte. „Das wären also sieben! Wer noch?“
„Ja, wer noch? – Marie hat doch eben ausgerechnet, daß es zehn Personen zu Tisch sein würden. – Mal überlegen…“ Margit hielt nachdenklich den linken Zeigefinger umfaßt. Dann machte sie einen raschen Sprung zum Mittelfinger. „Richtig, da ist ja noch der Rechtsanwalt, das heißt, falls er schon zurückgekommen ist. Er war wohl verreist.“
„Wer ist der Rechtsanwalt?“
„Das ist der Sohn vom Schiffsreeder Brahmer. Ja, dann sind es acht – und die gnädige Frau und Sie – sind zehn!“
„Vielen Dank, Margit, nun ist mir alles klar. Aber hören Sie – nein, warten Sie einen Augenblick! Was, meinen Sie, soll ich anziehen?“
Margit überlegte ein Weilchen. „Ja – hm – ich weiß nicht recht.
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