Aber dann kam der Sommer
ganz sicher damit gerechnet, daß er heute käme.“
„Bis vor einer halben Stunde glaubte ich das auch, Agnetchen. Aber er rief an und sagte, er sei noch auf dem Gericht. Er wollte sehen, ob er noch im Laufe des Abends kommen könne.“ Onkel Toralf wandte sich zu mir um. „Du mußt nämlich wissen, Unni, daß von meinem Sohn die Rede ist, meinem einzigen und teuren – sechsundzwanzig Jahre alt, der Stolz der Familie, erfolgreicher Anwalt beim Schwurgericht, der einzige Akademiker in unserem Kreis, und er heißt Christopher mit ph. Solltest du dich in ihn verlieben, beweist du damit einen guten Geschmack, aber Gott gnade dir vor meiner Frau! Sie wird eine gefährliche Schwiegermutter, denn für unseren Christopher ist ihr keine gut genug. Du wirst ihn heute abend kennenlernen. Wenn du ahntest, wie du dich freuen kannst!“
Ich merkte bald, daß sich Onkel Toralf niemals mit einem einzelnen Satz begnügte, sondern um alles viele Worte machte, die übrigens nicht immer sehr gewählt waren. Trotzdem lag etwas Versöhnliches in seiner Art. Er war ein polternder Schwätzer, dabei aber unbedingt gemütlich.
Louise kam herein, lautlos und korrekt.
„Verzeihung, gnädige Frau, Frau Doktor Bogard rief eben an und bat, die gnädige Frau möge nicht auf sie warten. Herr Doktor sei noch zu einem Krankenbesuch fortgegangen, und sie wisse nicht, wann er zurückkäme.“
„Da haben wir es!“ polterte Onkel Toralf los. „Das sind so die Freuden, wenn man mit einem Arzt verheiratet ist. Hör auf mich, Unni: Tu, was du willst, aber nimm niemals einen Arzt! Der fliegt dir alle Augenblicke davon, Tag und Nacht. – Nein, nein, Nettchen, du brauchst dich nicht zu räuspern, ich habe nichts Schlimmes gesagt! – Na, dann können wir uns wohl endlich zu Tisch setzen – was für ein Segen! Ich bekomme doch wohl Unni an meine Seite, nicht wahr, Agnete?“
„Nein, lieber Onkel, Fräulein Unni habe ich bereits für mich abonniert!“ trat Direktor Lindeng dazwischen, und er schob ruhig und bestimmt seinen Arm durch meinen.
„Dann setzen wir sie zwischen uns“, entschied Onkel Toralf mit dröhnender Stimme und nahm meinen anderen Arm.
„Aber, meine Lieben, wir müssen doch auf Hanna warten!“ rief Frau Brahmer.
„Ach du lieber Himmel, wir haben Hanna vergessen“, sagte Onkel Toralf, doch bevor er diesmal dazu kam, sich ausführlich dazu zu äußern, läutete es, und Frau Hanna Lindeng erschien.
Sie war eine gebrechlich zarte Erscheinung mit weißem, gewelltem Haar, einem durchsichtig bleichen Gesicht mit milden Augen und einem ebenso milden, fast ein wenig betrübten Lächeln um den schmalen Mund. Sie sprach mit einer gedämpften, feinen Stimme, und mit einem Male schien die ganze Stimmung im Raum um ein paar Töne gedämpft zu sein. Nicht etwa, daß Frau Hanna durch ihre Anwesenheit einen Druck auf die anderen ausgeübt hätte. Vielmehr dämpfte jeder von selbst die Stimme, so wie man es in einem Krankenzimmer tut.
Für jeden hatte sie ein paar freundliche Worte. Am längsten unterhielt sie sich mit Else.
Nun konnten wir zu Tisch gehen. Es gab Suppe mit Madeira, Forelle blau mit Weißwein, Geflügel mit Burgunder und eine Süßspeise mit Sherry oder Portwein.
Zu Beginn des Essens war ich noch ein bißchen schüchtern, und ich dachte krampfhaft an Noras guten Rat: „Wenn du im Zweifel bist, was du sagen sollst, dann sage gar nichts. Lächele verständnisvoll, fragend oder anerkennend, und du kannst sicher sein, daß man dich für eine intelligente junge Dame halten wird.“
Und ich lächelte und lächelte, teils fragend, teils anerkennend, und im übrigen war es gar nicht so schwierig, sich zu unterhalten, denn Direktor Lindeng war ein Meister im Auffinden von Gesprächsstoffen, die sich für eine Tischkonversation eignen. Er mischte Anekdoten mit Fragen und zart angedeuteten Komplimenten zu einer wirklich netten und anregenden Unterhaltung, und noch ehe das Geflügel serviert wurde, fühlte ich mich ganz unbeschwert und pudelwohl.
Onkel Toralf sorgte für die Getränke, und alle prosteten mir zu und hießen mich willkommen in der Stadt und in ihrer Mitte. Nun war der Alkohol für mich etwas völlig Ungewohntes, darum nippte ich immer nur vorsichtig an meinem Glas. Mit der Zeit aber summierte sich das Genippe – man darf ja schließlich nicht unhöflich sein, wenn die Leute einem zuprosten wollen.
„Nein, nun habe ich aber genug, mehr vertrage ich nicht“, versuchte ich zu protestieren, als Onkel Toralf mir
Weitere Kostenlose Bücher