Aber dann kam der Sommer
Vielleicht ein hübsches Nachmittagskleid…“
„Seien Sie so nett, Margit, und schauen Sie in den Schrank, und sagen Sie mir, welches von meinen Kleidern das passendste wäre!“
Mit einer nachdenklichen Falte zwischen den Brauen drehte und wendete Margit meine vier Kleider hin und her.
„Das hier – glaub’ ich!“
Mein neues Sonntagsnachmittagsausgehkleid wurde behutsam aus dem Schrank genommen und auf den Diwan gelegt. Margit war wirklich ein Engel!
*
Wenn wir bei uns daheim acht Gäste zu Tisch hätten haben sollen, wäre vorher eine Woche lang das Haus auf den Kopf gestellt worden. Wir hätten zu putzen und zu waschen gehabt, wir hätten acht Tage lang bei jeder Mahlzeit die Speisenfolge von neuem durchgesprochen, und alles würde sich um „die Gesellschaft“ drehen.
Ich erinnere mich noch deutlich daran, wie Vatis fünfundzwanzigjähriges Examensjubiläum gefeiert werden sollte. Ich war gerade konfirmiert und durfte zum erstenmal an einer Geselligkeit der Erwachsenen teilnehmen. Drei von Vatis ehemaligen Freunden aus der Studentenzeit waren von außerhalb nach Oslo gekommen, um dieses Fest zu feiern, und diese drei waren nun mit ihren Frauen für den Abend zu uns eingeladen.
Ach, du meine Güte – was für eine Aufregung! Hin und her wurde diskutiert: Welches war der rechte Zeitpunkt? Sollte man ein großes Essen um sechs Uhr geben? Oder um sieben? Oder ein kleines, warmes Abendessen um acht Uhr? Brauchte man Tischkarten, wenn so wenig Gäste kamen? Wen sollte der Vater zu Tisch führen, und wer Mutters Tischherr sein? Welche Sorte Wein gehörte zu welchem Gericht? – Mutti baute auf ihre Erfahrungen, die sie bei der Taufe von Tor und meiner Konfirmation gesammelt hatte. Das Ergebnis war zufriedenstellend, aber – du lieber Himmel! – wie viele Umstände vorher! Vier Tage vor diesem Ereignis wollte ich mir die Haare waschen.
„Nein, warte noch, damit du bei der Gesellschaft frisch gewaschen bist“, sagte Mutter.
Dann war Ibsen-Premiere. Daß Vater hinging, war selbstverständlich, aber daß Mutti ihn begleitete – ausgeschlossen!
„Bist du nicht bei Trost – zwei Tage vor der Gesellschaft?“ sagte Mutter.
Esther quengelte um neue Sportschuhe.
„Gedulde dich bis nach der Gesellschaft“, sagte Mutti.
Die „Gesellschaft“ wurde zum Markierungspfahl auf dem Lebensweg der ganzen Familie.
Vater kam mit einem großen Paket heim – drei ganze Flaschen Wein! Rotwein zum Braten, Weißwein zum Dessert und Whisky für nachher, Tor lungerte in der Küche herum, er und Esther freuten sich auf die Reste.
Es wurde übrigens ein gelungener Abend. Vater gelang es zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt, die Unterhaltung auf Ibsen zu lenken, und er fand glücklicherweise Anklang bei den anderen Herren.
Mutti saß mit den fremden Damen nebenan im kleinen Zimmer. Sie tauschten Kochrezepte aus. Und ich ging aus und ein, goß Kaffee ein und servierte Obst.
Kurzum, es war eine reizende Gesellschaft, und wir zehrten noch lange von der Erinnerung daran.
*
Bei Tante Agnete sollten wir also zehn Personen zu Tisch sein. Von den Vorbereitungen war absolut nichts zu bemerken. Um halb zwölf ging ich zur Tante hinüber, um guten Morgen zu sagen, wie ich es immer tat. Ich bürstete Nipp und wusch ihm die Augen mit Borwasser aus – wie alle Tage. Durch das Haustelefon gab ich Lönnedal Bescheid, daß der Wagen vorfahren solle – wie immer. Wir machten unsere Spazierfahrt und suchten auf dem Rückweg ein Blumengeschäft auf, um Blumen für die Tischdekoration zu kaufen.
Als wir zurückkamen, ließ sich die Tante ein Glas Madeira und etwas Gebäck bringen. Sie war übrigens heute viel besserer Laune, ja geradezu umgänglich. Sie bot mir ebenfalls ein Glas Madeira an, aber ich lehnte es dankend ab. Im Hinblick auf ihre gute Stimmung jedoch wagte ich zu fragen:
„Tante Agnete, darf ich vielleicht statt des Weines eine Apfelsine nehmen?“
„Eine Apfelsine? Ja, selbstverständlich! Aber, Kind, danach brauchst du doch nicht zu fragen. Du kannst dir alles nehmen, was du haben willst.“
Begeistert griff ich nach der größten Apfelsine, die in der Silberschale lag.
Louise und Margit kamen herein. Sie zogen den Eßtisch auseinander und legten Platten dazwischen. Alles geschah leise und flink und ohne die geringste Nervosität. Die Zeit verging, Tante Agnete leerte gemächlich ihr Glas, und dann läutete es an der Haustür.
„Sei so nett und trag das Tablett hinaus, Unni!“
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