Aber dann kam der Sommer
sagte die Tante. Dies war ihre einzige Vorbereitung, um die Gäste in Empfang zu nehmen.
Natürlich ist das die einzig richtige Art. Was für ein Unsinn, nervös zu werden und das ganze Haus auf den Kopf zu stellen, bloß wegen ein paar Gästen. Sie sind doch wahrhaftig kein Anlaß, um Probleme zu wälzen. Mutti sollte nur einmal Tante Agnetes Ruhe sehen!
Nun ja, Mutti hatte allerdings auch keine drei Hausmädchen und kein dickes Bankkonto, die ihre Probleme lösten.
Die ersten Gäste waren der Schiffsreeder Brahmer und seine Frau. Er war groß und dick, hatte eine rosenrote Glatze, und Stirn und Wangen waren noch um einen Schein röter. Er trug eine Brille, einen gut sitzenden Anzug und Schuhe mit breiten Sohlen. Er duftete nach Tabak und Rasierwasser. Seine Person füllte das Zimmer.
„Schönen guten Tag, Agnetchen! Na ja, da wär’s mal wieder Donnerstag. Ich bin hungrig wie ein Wolf, du! – Ei, da haben wir ja die Kleine! Willkommen bei uns, kleines Fräulein! – Bewahr’ mich, Agnete, das ist ja eine Schönheit, die du dir da eingefangen hast. Wartet mal, da muß ich doch gleich eine andere Brille aufsetzen… Sieh an, sieh an, das nenne ich einen Pluspunkt für Haus und Familie! – Wie heißen Sie noch gleich? Unni, nicht wahr? Tja, also ich bin Onkel Toralf. Alle kleinen Mädchen der Stadt nennen mich Onkel, nicht wahr, Nettchen?“
Er wandte sich für einen Augenblick zu seiner besseren Hälfte um. Sie lächelte. Es war durchaus nicht das dressierte Lächeln einer diplomatischen Gattin, sondern ein ehrliches, aufrichtig bewunderndes Lächeln.
„Lassen Sie sich nur nicht einschüchtern von meinem Mann, Fräulein Unni. So ist er nun mal, wie Sie sehen. Wie reizend, Sie kennenzulernen. Gefällt es Ihnen in unserer Stadt?“
„Ja, danke, sehr gut!“ sagte ich und streifte Tante Agnete flüchtig mit den Augen. Sie strahlte lauter Wohlwollen aus. Ich begann zu ahnen, daß dieser Onkel Toralf der anerkannte Stimmungsmacher der Familie war. Es sollte sich bald erweisen, daß diese Vermutung stimmte.
Dann erschienen Direktor Lindeng und seine Gattin. Er war wirklich ein ungewöhnlich gut aussehender Mann, dieser junge Direktor, dazu höflich, lebhaft – kurz gesagt: ein Kavalier. Er küßte Tante Agnete die Hand, er war „sehr erfreut“, mich zu treffen, leicht und geschmeidig führte er die Konversation, hatte einen kleinen Scherz für Onkel Schiffsreeder und eine muntere Bemerkung für Tante Antoinette… Was hatte Margit noch von ihm gesagt? „Das ist ein sehr schöner Mann. Die gnädige Frau ist mächtig begeistert von ihm.“
Wieder blickte ich zu Tante Agnete hinüber. Sie strahlte förmlich. Die Ausführungen ihrer Schwester Antoinette über ein neues Kleidermodell waren mit einem Schlag vergessen. Sie verschlang den Neffen geradezu mit den Augen, saugte jedes Wort von ihm in sich ein.
Durch ihn geht der Weg zu Tante Agnete! dachte ich und schenkte dem Herrn Direktor mein süßestes Lächeln.
Eine kleine, hellblonde Dame kam auf uns zu. Im normalen Zustand mußte sie hübsch und anziehend aussehen, jetzt allerdings war deutlich zu erkennen, daß das „freudige Ereignis“ nahe bevorstand. Ihr Gesicht war mager, die Haut ein wenig gelblich, aber in ihren Augen lag etwas, das sie mir sofort sympathisch machte. Sie wirkte weder geistig besonders hochstehend noch intelligent, eher ein wenig zaghaft. Aber ihre Augen waren unbeschreiblich klar, gut und ehrlich.
„Bitte schön, dies ist meine Frau!“ stellte der Direktor lächelnd vor.
Ach, wie sie nun alle lächelten – unbekümmert, freundlich – und unpersönlich. Es war das eingeübte, wohlerzogene, gleichsam nichtssagende Lächeln, das zu dem üblichen „sehr erfreut“ gehört, wenn man sich zum erstenmal präsentiert.
„Dies, liebe Else, ist Tante Agnetes Nichte, Fräulein Björk – Unni Björk, nicht wahr?“ wandte sich der Direktor an mich.
Ich nickte und gab seiner Frau die Hand. Zum zweitenmal begegnete ich hier einem Menschen, den ich gern mochte. Margit war der erste. Frau Else und ich schauten uns in die Augen und lächelten.
In dieser Frau hast du eine Freundin gefunden! sagte ich mir. Später erzählte mir Else, daß sie in diesem Augenblick dasselbe Gefühl gehabt habe. Und wir wurden Freundinnen, obwohl Else zehn Jahre älter ist als ich.
Aus dem Gesumm und Gemurmel, von dem das Zimmer erfüllt war, hörte ich Tante Agnetes Stimme heraus:
„Aber Toralf, warum habt ihr Christopher nicht mitgebracht? Ich hatte
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