Aber Mutter weinet sehr: Psychothriller (German Edition)
Tomaten und Äpfel in Klarsichttüten und wog alles ab.
Nichts von alledem brauchte Marie.
Irgendwann fiel ihr nichts mehr ein, was sie noch hätte kaufen können. Sie ging zur Kasse.
Marie wusste, dass die junge Kassiererin mit den pechschwarz gefärbten Haaren und dem Piercing in der Oberlippe bei Robert in die Berufsschule gegangen war. Sie hatte keine Lust, mit ihr auch noch über Johann zu sprechen. Deshalb vermied sie den Augenkontakt mit dem Mädchen, zahlte wortlos und räumte ihre Einkäufe in den Bastkorb.
Marie hatte genug Zeit hier drinnen verbracht. Sie beeilte sich.
Sie wollte sich wieder draußen zeigen. Sie wollte dem Mann eine Chance geben. Im Supermarkt würde er bestimmt keinen Kontakt mit ihr aufnehmen. Allein schon wegen den Kameras nicht, die an zahlreichen Stellen an den Decken hingen, um Ladendiebe abzuschrecken.
Die Sonne blendete Marie, als sie auf den mit kleinen Pflastersteinen wellig angelegten Platz trat. Sie blieb kurz stehen, um sich an das grelle Aprillicht zu gewöhnen. Als sie mit der rechten Hand ihre Augen vor der Sonne abschirmte, sah sie, dass die Frau des Postboten auf der anderen Straßenseite aufgeregt auf zwei Passantinnen einredete.
Marie wusste, dass gerade die Neuigkeiten in dem Entführungsfall weitergetratscht wurden. Sie beeilte sich, zu ihrem Fahrrad zu kommen. Als die Frauen sie entdeckten, fuhren ihre Köpfe erschrocken auseinander. Hoffentlich sprach sie jetzt keine mehr an. Marie wollte weiter. Sie hatte sich überlegt, dass es helfen würde, wenn sie eine Runde entlang der alten Dorfaue fuhr. Dann sah sie wirklich jeder. Dort standen Bänke unter breiten Linden, wo sie sich hinsetzen und warten konnte. Warten, bis der, der ihren Sohn hatte, sich an sie wandte.
Marie stellte den vollen Korb auf den Gepäckträger und klemmte ihn so ein, dass er beim Fahren nicht herunterfallen konnte.
Da sah sie es.
Eine bunte Plastiktüte. Von Lidl. Obwohl es hier keinen Lidl gab. Der nächste Lidl war ein paar Kilometer weiter weg, am Rand der Stadt.
Die Tüte hing an ihrem Lenker. Sie enthielt etwas, was sie nach unten zog. Einen schmalen Gegenstand. Das erkannte man an den Konturen.
Maries Herz schlug bis zum Hals. Sie schaute sich um. Um diese Zeit waren zwar viele Menschen in Bubach unterwegs, aber dabei handelte es sich meistens um Hausfrauen und ein paar Schüler, die früher Schluss hatten und mit ihren schweren Ranzen auf den Rücken zum Supermarkt trotteten, um sich dort Limonade oder Süßigkeiten zu kaufen.
Die drei Frauen auf der anderen Straßenseite schauten herüber. Marie drehte ihnen den Rücken zu. Sie beugte sich so über die Lidl-Tüte, dass die drei nicht sehen konnten, was sie tat.
Sie griff hinein und zog den Gegenstand heraus.
Es war ein Handy.
Johanns Handy. Das Handy ihres Sohnes. Der Entführer hatte es an ihr Fahrrad gehängt.
Marie ließ das Handy in ihrer Hosentasche verschwinden. Die Lidl-Tüte knüllte sie zusammen und steckte sie in den nächsten Papierkorb, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sich außer Johanns Handy nichts darin befand.
Dann schob sie ihr Rad bis zum Zebrastreifen. Sie wartete, bis ein Lieferwagen vorbei war, und überquerte die Straße. Marie wandte sich an die drei Frauen. »Haben Sie jemanden an meinem Rad gesehen?«
Die drei schauten sich entgeistert an. Eine schüttelte den Kopf. Die Frau des Postboten sagte: »War da nicht ein kleiner Junge? In Johanns Alter.«
Die beiden anderen stimmten ihr erst zögernd, dann aber überzeugt zu.
»Kannten Sie den Jungen?«
Die drei schüttelten synchron die Köpfe. »Nie gesehen«, sagte eine.
Marie bestieg ihr Rad und fuhr nach Hause.
Sie schloss das Rad in den Schuppen ein. Dann betrat sie das Haus und verstaute die Einkäufe im Kühlschrank. Robert saß auf dem Sofa und starrte ins Nichts.
»War was?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete er.
Marie ging ins Schlafzimmer. Sie schloss hinter sich ab.
Sie legte sich aufs Bett und schaltete Johanns Handy ein. Zum Glück kannte sie seine PIN . Er hatte es nicht fertiggebracht, sie seiner Mutter gegenüber geheim zu halten.
Marie wusste, dass die Polizei sie jetzt orten konnte. Aber das war ihr egal. Dieses Handy war ihre einzige Verbindung zu Johann.
Den ganzen Tag trug sie es in ihrer Hosentasche mit sich herum. Und abends legte sie es unter ihr Kopfkissen.
11
Mitten in der Nacht vibrierte das Handy.
Marie war sofort hellwach. Sie schaltete das Nachttischlämpchen ein und drückte die grüne
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