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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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Joneleit sich noch einmal beklagen. Dann verabschiedeten sich alle kurz und ich sah sie nur noch in verschiedene Richtungen in der Dunkelheit verschwinden.
XIII.
    G untrams letztes Kapitel, von dem Gisbert gesprochen hatte, ließ nicht mehr lange auf sich warten. Sechs Monate nach der bizarren Nacktvorstellung mit seiner Frau Anita in der Hauptrolle war Guntram auf dem See vorm Wald beim Angeln aus dem Kahn gefallen und ertrunken. Aufgrund der beiden leeren Pfefferminzlikörflaschen, die sie später im Boot fanden, konnte sich jeder zusammenreimen, warum Guntram den Fall ins Wasser nicht überlebt hatte.
    Danach gab es keine Nackttänze mehr auf dem Tisch und Anita bezahlte den Likör, den sie in der Kneipe trank mit ihrem eigenen Geld.
    Der Tod kam jetzt immer öfter ins Dorf. Der nächste war Kollmann, der Lehrer, gewesen. Zum Schluss hatte er Blut gespuckt.
    »Der hatte es auf der Brust wie sein Vater, der war mal der Kammerdiener des Grafen, aber umgebracht hat seinen Sohn, den Lehrer noch mehr.« Gisbert, der ihn als Arzt betreut hatte, wusste, wovon er sprach. Für die einen im Dorf war er bis zum Schluss der Lehrer gewesen, für die meisten anderen der Spezi . Aber alle wussten, dass er mit vierundsechzig eigentlich zu früh gestorben war, obwohl er seit Jahren unter diesem trockenen Husten litt. Gisbert hatte ihn vorzeitig in den Ruhestand schicken wollen, nicht nur wegen seiner Lunge. Kollmann hatte jedoch bis zum Schluss in der Schule des Nachbarortes Physik und Englisch unterrichtet, weil die entscheidenden Verwaltungsstellen in der Kreisstadt die Meinung des Landarztes nicht teilten.
    Der Vater des Lehrers – der Kammerdiener – war schon vor fünfunddreißig Jahren gestorben. Da war sein Herr, der Graf von Ottenstedt, schon tot und dessen Sohn zwar dem Titel nach noch Graf, aber nicht mehr Großgrundbesitzer gewesen, jedenfalls nach den Erlassen und Gesetzen der neuen Ordnung.
    Der gräfliche Sohn und der älteste Sohn des Kammerdieners waren die beiden einzigen aus dem Dorf gewesen, die studieren konnten. Kollmanns Sohn auf einem Lehrerseminar in der Reichshauptstadt Berlin, das war in den dreißiger Jahren. Die beiden Studenten gingen dann auch gemeinsam freiwillig in den Krieg. In Nordafrika sollten sie das Großdeutsche Reich noch größer machen, also wurden sie in die Wüste geschickt, an verschiedene Orte zwar, aber einmal hatte der junge Leutnant den Sohn des Kammerdieners getroffen.
    »Die Welt ist klein, da sind wir uns zufällig in Ägypten begegnet, wir zwei aus unserem Dorf in Vorpommern.« Erst vor ein paar Wochen, an einem trockenheißen Sommerabend, der ihn an diese Zeit in der Wüste erinnerte, hatte er mir davon erzählt. Auch dabei war er immer wieder von diesem trockenen Husten unterbrochen worden.
    Wir hatten in seinem Garten gesessen, und er hatte mir die vergilbten Fotos in dem abgegriffenen Album wie ein Geheimnis gezeigt. Der Sohn des Kammerdieners Kollmann vor einem zerschossenen englischen Panzer, im Hintergrund Pyramiden, vor einer Karawanserei, auf einem Kamel und vor einer Palmengruppe in einer Oase. Manchmal zusammen mit einem lachenden braungebrannten blonden Mann in Uniform, der zu Hause der junge Herr gewesen war.
    »Das hat er alles fotografiert und mir dann viel später zum Geschenk gemacht. Vielleicht können Sie es mal für eine Geschichte gebrauchen«, hatte der grauhaarige Mann mit den tief liegenden Augen und der aschgrauen Gesichtsfarbe gesagt und das Album behutsam zusammengeklappt, wie etwas besonders Kostbares. Vierundvierzig war der Krieg für ihn zuende gewesen, aber es ging nicht nach Hause, es ging noch weiter weg. »So kann einer auch die Welt kennenlernen, wenn auch nicht freiwillig«, hatte er mir lächelnd erzählt. Von Afrika nach Amerika, Prisoner of War, Kriegsgefangener. Da war der Krieg schon vorbei gewesen. Sklavenarbeit auf den Baumwollfeldern in den Südstaaten. Der zeitliche Abstand hatte versöhnt, er hatte die Dinge unscharf werden lassen, also hieß es in seiner Erinnerung nur: »Gelebt haben wir nicht schlecht da, gutes Essen und sogar Geld für Zigaretten, Lucky Strike , den Gefangenen im Osten ging es schlechter.«
    Der Sohn des Grafen ging nicht lange in die Gefangenschaft, sondern kurz nach dem Krieg westwärts über die Elbe. Allerdings hatte er mit Hilfe des alten Kammerdieners Kollmann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus einem Versteck im väterlichen Schloss noch die persönliche Habe der gräflichen Familie in den Westen

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