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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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aufkommenden Zweifel mit dem Pinsel wegzustreichen. Wer sagte mir denn, dass es Veronika da drüben wirklich besser gehen würde? Aber das hatten Leute, die ihr Land verließen – ganz gleich aus welchen Gründen -, nie gewusst, musste ich mir eingestehen – und es war für ihre Entscheidung nie von Bedeutung gewesen.
    In de Kneip ´ hatte ich wieder den alten Erwin getroffen, der heute allein an einem Tisch saß und in sein fast leeres Bierglas starrte.
    Ich hatte mich zu ihm gesetzt, zwei Bier bestellt und dann hatten wir uns eine Weile schweigend gegenüber gesessen. Zum ersten Mal betrachtete ich den leicht nach vorn gebeugt sitzenden Mann genauer. Die Haut schien Erwin inzwischen überall zu weit zu sein, so dass sie Falten warf. Das wenige strohige Haar, das ihm geblieben war, wies in alle Richtungen vom Schädel und es schien sinnlos, dass er von Zeit zu Zeit mit seinen hornhautharten Fingern durch die Strähnen strich, als wolle er sie ordnen. Neben seinem Bierglas lag seine abgewetzte blaue Leinenmütze, von der er sich nie trennte. Er hatte bemerkt, dass mein Blick an der blank geschabten Kopfbedeckung hängen blieb.
    »Die is schon was Besonderes, kannst du glauben, hat den Krieg schon mitjemacht, für Führer, Volk und Vaterland«, begann er in leicht schleppendem Tonfall, der verriet, dass er nicht mehr ganz nüchtern war. Dann schob er mir die in die Jahre gekommene Mütze über den Tisch.
    »Hast du denn daran geglaubt?«, fragte ich ihn etwas zweifelnd.
    Er sah mich erstaunt an und knurrte dann: »Na ja, an das für Volk und Vaterland am Anfang vielleicht«.
    »Und wie war das mit dem Führer?«
    »Du meinst den Hitler?« Er winkte ab. »Am besten wir reden von was anderem«. Dann schien er nachzudenken, als müsse er etwas von weit herholen. »Unser Jraf jedenfalls, der war nie für den, der war deutschnational, aber sonst, die meisten hier: Den Arm nich hoch jenug, sag ich dir.« Er deutete flüchtig den Hitlergruß an, gleich mit einem Rundblick prüfend, ob da wer Zeuge ist.
    »Haben alle die Farbe jewechselt. Jestern braun, heute rot. Das war schon komisch, kann ich dir sagen, an manchen Jacken steckte das neue Parteiabzeichen in den Löchern vom alten.« Er lachte tonlos und sein Haarschopf schwankte unentschlossen hin und her.
    »Ich bin nie politisch jewesen, also war ich nich so richtig für die Nazis, so richtig nie, aber auch nich so richtig dajejen…« Er zuckte die Achseln. »Jearbeitet haben wir auf den Feldern des Jrafen, das war vorher so und als die dann dran waren, hat das auch nischt jeändert.« Er trank sein Glas mit einem Zug leer und winkte zwei neue Biere heran. »Und es war ja auch nich alles nur schlecht. Die haben sich um die kleinen Leute jekümmert. Alle hatten Arbeit und mit Kraft-durch-Freude konntest du spottbillig verreisen. Aber das mit den Juden, das hätten die nich machen sollen. Wenn einer Jeld hat, mit dem jeht man nich so um. Und die meisten hatten Jeld, sag ich dir, die besten Jeschäfte in Stettin. Hosen, Anzüge, Mäntel, Schuhe, alles Eins-A-Qualität, pikobello.«
    Er verstummte kurz, die neuen Biere wurden auf den Tisch gestellt, und er kämmte wieder mit den Fingern durch das störrische Haar.
    »Ins Schloss, zum Jrafen, sind manchmal auch welche von denen jekommen, richtig vornehme Leute, sag ich dir und hübsche Weiber hatten die, Klassefrauen, kannst du glauben, alle hatten schicke Pelze und Automobile, da hat unsereiner nur von jeträumt. Die haben´s verstanden, wie man Jeld macht. Dabei konntest du sogar runterhandeln bei denen, wenn du der Erste warst, früh im Laden, irjend so ein jüdischer Aberglauben, dass der erste Kunde nich jehen darf, ohne was zu kaufen. Uns war´s ejal, warum die das machten, wir haben auf die Art was jespart und rechnen mussten wir alle, da haben wir dann gesagt: Scheiß auf die Juden, wir kaufen bei Kohn!« Wieder lachte der Alte mit heiserer Stimme, als hätte er einen guten Witz gemacht und die Falten drängten sich um seine Augen zusammen.
    »Das war schon ´ne feine Sache, das mit dem Runterhandeln, bis die dann anjefangen haben mit ihrem blöden Deutsche, kauft nicht bei Juden! Die hatten jut reden. Einmal«, seine Stimme wurde leiser, »einmal war ich noch mit meiner Schwester in Stettin, wie verrückt ist sie jewesen nach ´nem Seidenkleid mit jroßen Blumen drauf, hatte sie in irgend ´nem UFA-Film jesehen. Zur Verlobung sollte das sein, mit dem Ältesten vom Stellmacher, dem Heinzi.«
    Wieder versuchte er,

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