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Abgang ist allerwärts

Abgang ist allerwärts

Titel: Abgang ist allerwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Kuhnert
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geschafft. Hinter einer doppelten Wand im Keller lag das, was ihm den Neuanfang dort drüben erleichtern sollte. Das Schloss war zu der Zeit noch mit Flüchtlingen von jenseits der Oder vollgestopft, da achtete niemand sonderlich auf den jungen und den alten Mann, die eines Abends im Keller Schutt wegräumten.
    Zu Hause war für den jungen Grafen nach diesem Krieg, der mehr verändert hatte als nur Grenzen, kein geografischer Begriff mehr: Ubi bene, ibi patria. Was dem einen das Latein, war dem anderen das Englisch: Coming home hieß es nach zwei Jahren Südstaaten und der Sohn des Kammerdieners Kollmann, der Fast-Lehrer, der Angehörige des Afrikakorps, der Prisoner of War kehrte von den Baumwollfeldern zurück in sein Dorf. Und er war willkommen. Sie brauchten Leute, die die Kinder unterrichteten, die das Tausendjährige Reich überlebt hatten, hatte Kollmann mir erklärt. Und die Gesetze der Naturwissenschaft seien auch in dem neuen Staat die alten geblieben, und Nazi sei er nicht gewesen, das hätte der Vater nicht geduldet, weil es der Graf nicht geduldet hätte. Man musste nur guten Willen zeigen und sich von der Vergangenheit distanzieren, so einfach hatte er mir den Neuanfang erklärt.
    Der junge Neu-Lehrer hatte sich vorgenommen, das alte Leben zuzuklappen wie ein verbotenes Buch und ein neues aufzuschlagen, eines, das die Welt auf den Kopf stellte oder wieder auf die Füße, das hatte jeder für sich zu entscheiden.
    Aber nicht alle im Dorf hatte das alte Leben so leicht losgelassen. Er hatte es bald an einigen Schülern und mehr noch an deren Eltern gespürt, mit denen er einst Räuber und Gendarm gespielt hatte.
    Und weil er manchmal vielleicht auch an sich selbst gezweifelt hatte, hatte Kollmann mit dem eisernen Besen gekehrt: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns . Das kannte er noch aus der Bibel. Unter einem kolorierten Stalinbild hinter dem Lehrertisch – wo vorher eine pommersche Landschaft in Öl gehangen hatte – erklärte er nun die Welt unter den neuen Vorzeichen.
    Eines Abends in den frühen Fünfzigern – so hatte er mir erzählt – verrichtete er auf dem verwitterten Bretterklo im Hof der alten Zwergschule seine Notduft. Es war ein frühdunkler Novembertag gewesen, da hörte er, wie eine tenorale Stimme lautstark auf der Dorfstraße sang. Er wusste, zu wem diese Stimme gehörte, und er kannte dieses Lied, das er vor Jahren ja selbst mit Begeisterung gesungen hatte. Aber er hatte es sich und dem neuen Staat geschworen, nie wieder die alten Lieder zu singen.
    »…wir werden weitermarschieren, bis alles in Scherben fällt, denn heute hört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.«
    Das ging gegen ihn und den jungen Staat, da war er sich sicher. Hastig hatte er die Hosen hochgezogen und war ins Schulhaus ans Telefon gelaufen.
    Der Polizist aus dem Nachbarort hatte vergeblich nach dem Sänger im Dorf gesucht. Der war – von Gott-weiß-wem gewarnt – wahrscheinlich in dieselbe Richtung verschwunden, in die schon einige aus dem Dorf gegangen waren. Bald aber hatten es die Spatzen von den Dächern gepfiffen, wer die Polizei ins Dorf geholt hatte.
    Sie vergaßen es ihm lange nicht, im Grunde nie. Aber hatte er nicht nur seine Pflicht getan? War er es sich und dem neuen Staat nicht schuldig? Schließlich arbeitete er als Erzieher der neuen Generationen, da musste er doch besonders wachsam sein. Kollmann hatte mich angesehen, als erwarte er meine Zustimmung.
    Ich nickte nur stumm. Was hätte es für einen Sinn gehabt, dem alten Mann zu widersprechen?
    Es sei eine Erleichterung gewesen – fuhr Kollmann fort -, als die Zwergschule im Dorf geschlossen wurde und er im Nachbarort unterrichten konnte. Hier hatte die Erzählung des alten Lehrers geendet. Ich wusste aber von Gisbert, dass Kollmann zu dieser Zeit begonnen hatte, ab und zu eine Flasche zu kaufen.
    Weinbrandverschnitt Spezial – Spezi wie sie in der Kneipe sagten. Bald trank er nicht nur abends, sondern auch früh vor dem Unterricht. Er fürchtete die Schüler aus dem eigenen Dorf, die ja auch in der neuen Klasse saßen und die wussten, dass er einmal einen von ihnen verzinkt hatte und zu denen er oft wie gegen eine Wand sprach. Und die wiederum hatten es ihren Kindern weitererzählt, und die wieder ihren Kindern, was der Lehrer Kollmann für einer war.
    »Hört das denn nie auf?«, hatte seine Frau sich einmal weinend bei ihrer Schwester Edda beklagt, als sie bei einem Glas Rhabarberwein in der kleinen Poststelle saßen.
    »Und jeden

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