Abgang ist allerwärts
Abend trinkt er diesen Fusel, dann ist es immer so, als wäre ich gar nicht da.« Edda wusste aus eigener Erfahrung nur zu gut, wovon ihre Schwester sprach, aber helfen konnte sie ihr nicht.
Eines Tages war er dann da gewesen, der Name für Kollmann: Spezi . Es war gut, dass keiner mehr seinen Namen nennen musste, wenn sie von ihm sprachen, denn der Name war auch der seines Vaters gewesen, von dem sie noch über dessen Tod hinaus mit Ehrfurcht sprachen. Nur bei wenigen noch blieb der Sohn des alten Kammerdieners der Lehrer . Es schien, als hätten die meisten nur auf eine Bezeichnung gewartet, die ihn erniedrigte. Und er, der dies alles stumm ertrug, suchte den Schmerz tief innen mit immer größeren Mengen des bräunlichen Alkohols zu betäuben, dessen Namen sie ihm gegeben hatten.
Ganz allmählich nur, im Laufe vieler Jahre, hatten sie dann aber doch einen Weg gefunden, wieder miteinander umzugehen. Auch wegen Kollmanns Frau und der Kinder. Die hatten es auch so schon schwer genug, das jedenfalls hatten sie oft von Edda, der Postfrau gehört und die wusste, wovon sie sprach.
»Warum die alten Geschichten immer wieder aufwärmen…die Zeit heilt alle Wunden… man muss auch vergessen können… wer nicht vergessen kann, geht an seinen Erinnerungen kaputt…« Es hatte für viele im Dorf genügend Gründe gegeben, sich schließlich an diese alten Sprüche zu erinnern. Das alles hatte ich von Gisbert an dem Tag erfahren, an dem der Lehrer Kollmann zu Grabe getragen wurde. Bald war er grauhaarig geworden, der Spezi , und seine Hände hatten gezittert, wenn er morgens aufwachte. Der Husten schüttelte ihn manchmal so stark, dass er fürchtete, es wäre etwas in ihm zerrissen, so dass er ängstlich ein Taschentuch vor den Mund presste. Manchmal hatte seine Frau auch den Doktor gerufen, und Gisbert hatte ihm nach der Untersuchung jedes Mal ein Rezept oder auch einen Schein über Arbeitsunfähigkeit ausgestellt. Aber Kollmann wollte davon nichts wissen. Er unterrichtete weiter in der Schule des Nachbarortes Physik und Englisch mit einem leichten Südstaatenakzent, aber das wusste nur er. Sie hatten vieles von ihm nicht gewusst, weil sie es nicht wissen wollten, und er hatte es deshalb für sich behalten, denn ihr Urteil hatten sie ohnehin schon vor vielen Jahren über ihn gefällt, über den Spezi. Nun liegt auch er auf dem kleinen Friedhof neben der Dorfkirche und auf seinem Grabstein steht wieder sein wirklicher Namen, der auch der seines Vaters gewesen war.
XIV.
» W ie naiv bist du eigentlich?« Angélique schlug sich mit der flachen Hand gegen ihre Stirn. »Hast du allen Ernstes geglaubt, du könntest der Partei in ihre sozialistische Suppe spucken und die würde dich dafür noch belohnen?«
Angélique war nach Wochen wieder einmal in ihrem Haus im Nachbardorf aufgetaucht und ich war sofort zu ihr gefahren. Ich hatte ihr von den unterschiedlichen Absagen berichtet, die mich innerhalb kürzester Zeit erreicht hatten. Das Theater in L. wusste angeblich überhaupt nichts von einer vereinbarten Uraufführung, das Fernsehen sah leider keine Chance für eine Fortsetzung der satirischen Geschichten für Schauspieler und die bevorstehende Aufführung zweier Einakter von mir an einer Universität im Norden wurde von einer so genannten Kulturkommission kurzerhand wegen antikommunistischer Tendenzen untersagt.
Jede dieser Nachrichten habe mich wie ein Tiefschlag getroffen, hatte ich mich beklagt und im Stillen gehofft, ein paar Streicheleinheiten von Angélique zu bekommen, doch stattdessen rieb sie noch Salz in die frischen Wunden. Obwohl ich tief im Innern wusste, dass sie mit ihrer Einschätzung Recht hatte.
»Ich werde mir das jedenfalls nicht gefallen lassen«, sagte ich trotzig.
Angélique sah mich amüsiert an. »Und was willst du machen? Ein Zelt vor der Parteizentrale aufschlagen und die Bundschuhfahne hissen? Oder im Schriftstellerverband als Rufer in der moralischen Wüste auftreten? Vergiss es, die Rolle des Michael Kohlhaas passt nicht zu dir. Ich weiß jedenfalls, was ich zu tun habe, falls mein Buch hier nicht erscheinen darf.« Sie hatte schon jetzt das in aller Konsequenz zuende gedacht, was ich trotz der konzertierten Ablehnungsfront bisher nur zögernd in Erwägung gezogen hatte. Wenigstens würde ich mich durch das, was mir gerade widerfuhr, einiger Aufmerksamkeit bei meinen Freunden erfreuen. Der Bonus des Opfers. Damit lebte man eine Zeit ganz komfortabel. Angélique wollte mir nicht einmal das
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