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Abgebrezelt

Abgebrezelt

Titel: Abgebrezelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Schmidt
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Er hat plötzlich diesen klassischinteressierte aber distanzierten Arztton an sich, was mich ein wenig irritiert. Von der Ex zur Patientin in drei Sekunden. Klasse. Schließlich hatten wir schon mal Sex miteinander, und das mehr als einmal, auch wenn er nicht besonders gut war. Teelicht eben.
    »Na ja, wie schon am Telefon gesagt, ich hab halt festgestellt, dass meine Stirn seit neuestem voller Falten ist und ich damit total alt aussehe. Und jetzt hoffe ich, dass du mir helfen kannst.«
    »Hmm … lass mal sehen!«
    Er kommt mit einer großen Lupe hinter seinem Schreibtisch vor und guckt sich meine Stirn genau an.
    »Tja, das ist mit Botox überhaupt kein Problem, obwohl die Falten wirklich nicht besonders tief sind.«
    »Mir sind die tief genug. Was würde mich das kosten?«, frage ich ungeduldig.
    »Ich würde dir nur die Materialkosten berechnen, also … das wären dann circa hundertfünfzig Euro – weil du es bist.«
    Ein Traum wird wahr!
    »Können wir das direkt machen?«
    Ich kann es wirklich kaum erwarten und rutsche nervös auf meinem Stuhl hin und her.
    »Die Injektion dauert nur ein paar Minuten, das können wir also direkt machen. Du musst nur die Einverständniserklärung hier unterschreiben, wegen der Risi … «
    »Gib her!«
    Ich reiße ihm den Zettel aus der Hand, unterschreibe, ohne zu lesen, und stürze regelrecht auf den Behandlungsstuhl. Angst vor Spritzen kenne ich plötzlich nicht mehr. Roland zieht sich Gummihandschuhe an, setzt sich auf den Rollhocker und zieht aus einem kleinen Fläschchen eine klare Flüssigkeit in eine sehr dünne Spritze. Dann beugt er sich über mich, so dass ich seinen Atem spüre, der ein bisschen nach Kaffee und Odol riecht. Es pikst und ist ein bisschen unangenehm, aber das macht mir nichts aus. Ich fühle augenblicklich, wie sich meine Stirn entspannt, woraufhin auch ich mich entspanne. Die Augen habe ich geschlossen und träume ein bisschen vor mich hin. Ich sehe Jens, der mir entgegenschwebt, mich anlächelt und sagt: ›Mensch, Jessi, das gibt’s doch nicht! Wie kann man denn Mitte dreißig so viel besser aussehen als mit Mitte zwanzig? Du siehst absolut umwerfend aus.‹ Sein Blick ist voller Respekt und Verlangen. Dann taucht Christine in meinem kleinen Tagtraum auf. Sie schaut mich an und sagt ›Mein Gott, Jessica, ich gebe es nicht gerne zu, aber du hast den Miss-Interpool-Titel wirklich verdient. Toll siehst du aus!‹ Ich lächle.
    »Jessi?«
    »Jaaa?« Roland holt mich zurück in seine Praxis und auf den Behandlungsstuhl.
    »So, fertig. Du kannst die Augen wieder aufmachen.«
    Ich mache die Augen wieder auf, aber irgendwie fühlt sich das komisch an. Als hätte ich mir aus Versehen ein Augenpad aufs Oberlid anstatt unter das Auge geklebt, allerdings nur auf der rechten Seite. Ich gucke Roland an, der mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrt. Als er merkt, dass mich sein Gesichtsausdruck verwirrt, setzt er schnell wieder das distanzierte Arztgesicht auf. Ich ahne Schlimmes.
    »Gib mir sofort einen Spiegel.«
    »Moment. Erst muss ich mir das genauer anschauen.«
    »WAS musst du dir genauer anschauen? Gib mir sofort einen Spiegel!« Meine Stimme ist jetzt extrem hoch und droht zu kippen. Roland greift hinter sich und hält mir einen Handspiegel vors Gesicht. Mein rechtes Augenlid hängt bis zur Mitte der Pupille, und so sehr ich mich auch anstrenge, es bewegt sich keinen Millimeter weiter nach oben. Ich ziehe es mit dem Finger hoch, in der Hoffnung, dass es da bleibt, es fällt aber sofort wieder nach unten in extreme und einseitige Schlafzimmerblick-Position. Ich ziehe ein paar Grimassen, aber nichts passiert. Mein Auge bleibt auf Halbmast, und ich sehe aus wie ein Zyklop, ein Zyklop mit zugegebenermaßen glatter Stirn. Und dann schreie ich.
    »Jessi, bitte hör zu.«
    Ich schreie immer lauter …
    »Jessi, bitte. Das kann passieren. Das gehört zu den … «
    Ich schreie noch lauter und schlage auf den Behandlungsstuhl ein.
    »Jessica, bitte! Ich hab noch Patienten im Wartezimmer. Was sollen die denn denken?«
    Ich höre auf zu schreien. Das gibt es ja wohl nicht. Der Kerl verunstaltet mich total, und das Einzige, woran er denkt, sind seine anderen bescheuerten Patienten mit widerlichen Hautkrankheiten. Außerdem lügt er auch noch, ich weiß ja, dass ich die letzte Patientin heute bin.
    »Mach das sofort wieder rückgängig oder ich schreie dir die komplette Praxis zusammen«, drohe ich.
    »Jessi … das ist nicht so einfach. Aber ich kann dir

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