Abgebrezelt
stehe kurz vor einer Explosion und knalle diesem natterblinden Schwachmaten mit voller Kraft die Tür vor der Nase zu.
Dann schaue ich mich im Flurspiegel an und erschrecke mich fürchterlich. Meine Stirn glänzt fettig von der Faltencreme, die sich zu allem Übel weiß in meiner Zornesfalte und den Krähenfüßen in meinen Augenwinkeln festgesetzt hat und diese jetzt wunderbar betont. 46 ist da noch geschmeichelt! Mir reicht’s! Panisch suche ich nach meinem Handy, finde es unter meinem Kopfkissen und scrolle durch mein Adressbuch. Gott sei Dank, Roland steht noch drin. Ich drücke schnell, bevor ich es mir doch noch anders überlege, auf den grünen Hörer.
ACHT Matschauge
Rolands Praxis ist sehr modern und geschmackvoll eingerichtet. Es ist kurz nach sechs, ich habe noch am gleichen Tag einen Termin bekommen. Der Empfangstresen hat keine einzige Kante und ist wie eine Welle geschwungen. Die Deckenlampen sind rund und sehen aus wie kleine Ufos, die durch die Praxis jagen, und an der Wand hängen kreisförmige, orangene Kunstobjekte, die an bunte Kinder-Lutscher erinnern. Überhaupt ist alles irgendwie rund in dieser Praxis. Alles, außer der Sprechstundenhilfe, denn die ist schlank, hoch gewachsen und sieht aus wie ein Model. Ich schaue ihr auf die Stirn und sehe keine einzige Falte, noch nicht mal ein winzig-kleines Fältchen und frage mich, ob Roland sie auch mit Botox behandelt hat. Wenn ja, hat er es verdammt gut gemacht. Meine Aufregung steigt, und ich freue mich richtiggehend auf die Spritzen.
»Bitte nehmen Sie doch noch kurz Platz, Frau Kronbach«, fordert mich das Sprechstunden-Model auf und führt mich ins Wartezimmer. Bis auf einen älteren Mann ist der Raum leer. Ich grüße kurz, er nickt. Ich setze mich ihm gegenüber neben ein Tischchen mit Zeitschriften und freue mich schon auf Gala und Bunte . In Wartezimmern durchforste ich immer sämtliche Frauenzeitschriften nach Kosmetikproben, das spart bares Geld. Der ältere Mann steht auf, kommt auf mich zu und legt die aktuelle Ausgabe vom Spiegel auf den Zeitschriftenstapel neben mir. Erst jetzt sehe ich, dass die eine Hälfte seines Gesichts mit großen, eitrigen Pusteln übersäht ist, die fettig im Ufo-Licht glänzen. Die Haut um die eitrigen Krater ist knallrot und schwer entzündet. Auf seinem dunklen Pullover sieht man Hautschüppchen, die aber nicht von seinem Kopf stammen, sondern aus seinem Gesicht. Mir wird übel, und ich schaue schnell weg. Ich darf gar nicht daran denken, dass der Mann mit diesem Ausschlag Dinge anfasst, die andere, und vor allem ich, danach auch noch anfassen müssen, wie zum Beispiel die Türklinke, die Zeitschriften oder die Straßenbahn. Sollte man denn so unter Leute gehen? An seiner Stelle würde ich mich einschließen und erst wieder rauskommen, wenn alles vorbei ist. Oder besser: gar nicht mehr rauskommen.
In diesem Moment wird Herr Huber, so heißt der Mann offensichtlich, auch schon aufgerufen. Meine Lust auf Zeitschriften ist verflogen, ich stehe auf und frage das Model nach der Toilette, auf der ich mir gründlich die Hände wasche. Die leichte Übelkeit bleibt. Ich möchte nicht zurück ins Wartezimmer und drücke mich im Vorraum rum, bis Herr Huber wieder aus dem Sprechzimmer kommt. Ich vermeide es ihn anzugucken, auch als er sich von mir mit einem freundlichen »Auf Wiedersehen!« verabschiedet. Kurz darauf werde ich aufgerufen und betrete das Sprechzimmer, in dem hinter einem ebenfalls geschwungenen Schreibtisch Roland sitzt. Ganz Mann von Welt, steht er auf, kommt um den Schreibtisch herum, gibt mir gleichzeitig die Hand und ein Küsschen auf die rechte Wange, dann eins auf die linke. Ich hoffe nur, dass er Herrn Huber nicht auch geküsst hat. Roland geht einen Schritt nach hinten und betrachtet mich.
»Jessi, gut siehst du aus!«
Komisch, dass ich mir bei Roland so überhaupt keine Gedanken gemacht habe, was er von meinem gereiften Äußeren halten könnte.
»Findest du? Danke, gleichfalls!«
Und das ist noch nicht mal geschmeichelt. Roland sieht tatsächlich ausgesprochen gut aus, sehr jugendlich, mit seinen noch vollen und dunklen Haaren und seiner sportlichen Figur. Der weiße Arztkittel ist offen, und darunter trägt er ein elegantes Boss-Hemd und Jeans. Sehr leger für einen Arzt. Ich bin mir relativ sicher, dass er in Sachen Falten auch ein bisschen nachgeholfen und schon mal selbst vom Botox-Töpfchen genascht hat, liegt ja nahe, wenn man an der Quelle sitzt.
»Wie kann ich dir helfen?«
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