Abgebrezelt
… äh … so anders miteinander beschäftigen können!«
Bei dem Satz verziehe ich das Gesicht, als hätte ich in ein Stück Seife gebissen, und finde Gefallen daran, dass ich meine Mimik nicht unter Kontrolle haben muss.
»Na, das klingt ja vielversprechend! Hab schon gedacht, ich schaff’s nicht mehr rechtzeitig. Hab da so einen extrem wichtigen Kunden, der ohne mich keine einzige Entscheidung mehr treffen kann.« Jens seufzt.
»Wo arbeitest du denn jetzt überhaupt? Ich bin ja nicht wirklich auf dem Laufenden.« Ich versuche eine erotische Nuance in meine Stimme zu legen, aber anstatt wie Kim Cattrall in Sex and the City klinge ich wie Kermit der Frosch.
»Ach ja, stimmt ja, das weißt du ja noch gar nicht. Ich hab jetzt einen sehr geilen Job bei Deutschlands größter Unternehmensberatung. Bin Seniorberater. Hab nur richtig große Kunden, Ferrero, Ford, Daimler-Chrysler und so. Deshalb bin ich auch aus Hamburg zurückgekommen. Hamburg konnte mir beruflich einfach nichts mehr bieten … «
Es folgt ein fünfzehnminütiger Monolog über seine großartige Karriere in Hamburg: »Gestern hatten wir eine super Sitzung mit dem Vorstand von Porsche … blablabla … bei so einem Großkunden muss man schon was auf dem Kasten haben … blablabla … nachdem ich diesen Riesendeal nach Hause gefahren hab, haben da alle nach meiner Pfeife getanzt … blablabla … ’ne Riesensumme haben die mir geboten, damit ich bleibe … blablabla.«
Ich versuche zwar mehrfach, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, aber Jens geht gar nicht darauf ein. Er redet einfach weiter. Ich glaube, er ist ziemlich fasziniert von sich selbst. Während er von sich, über sich und auch mit sich redet, halte ich mich an meiner Weinschorle fest und bin froh, dass ich nicht interessiert gucken, sondern nur aufpassen muss, dass ich geräuschlos gähne. Mich würde ja viel eher interessieren, was aus Barbie geworden ist, der dürren Blondine, mit der er damals nach Hamburg gegangen ist, und nicht, welcher langweilige Kunde was für einen viel zu geringen Etat hat. Dann kommt Gott sei Dank das Essen und der blinde Kellner Peter beendet damit Jens’ Vortrag.
»Also, Sie, Jessica, haben das vegetarische Menü bestellt. Der Blumenkohl-Kartoffel-Auflauf befindet sich auf zwölf Uhr, die karamellisierten Karöttchen auf drei Uhr und die Tofutaler auf halb acht. Für Sie, Jens, das Entrecôte auf sechs Uhr mit den Pommes frites auf drei Uhr und einem Allerlei aus Erbsen und Karotten auf neun Uhr. Guten Appetit!«
»Wurde ja auch langsam Zeit!«, blafft Jens den armen Peter an. Seine Unhöflichkeit gegenüber unserem netten Kellner ärgert mich, weshalb ich mich besonders laut und deutlich bei Peter bedanke, während ich mit den Fingern mein Essen befühle.
Es ist mir nicht geheuer, etwas in den Mund zu schieben, was ich nicht sehen kann, und das gilt nicht nur fürs Essen. Es könnten ja schließlich auch Känguruhoden auf verrottetem Tausendfüßlermousse sein, die man mir als gesunde Biokost verkaufen möchte. Mit dem Gedanken hab ich mir dann auch schon selbst den Appetit verdorben, super! Jens hat damit weit weniger Probleme, er schmatzt lautstark. Ich frage mich, ob er schon immer so schlechte Tischmanieren hatte, und wenn ja, ob mir das im Hellen auch so aufgefallen wäre.
»Und du?«, fragt er, während er zeitgleich auf seinem Fleisch rumkaut.
»Wie – ich?«
»Was machst du beruflich?«
Immerhin, die erste persönliche Frage, die er an mich richtet.
»Ich bin immer noch bei Interpool.«
»Echt? Und in welcher Position?« Ich höre seine Gabel über den Teller rutschen.
»Immer noch in der gleichen. Ich kümmere mich immer noch um die Logistik und die Kundenbetreuung.«
»Das glaub ich nicht! Du bist immer noch in der gleichen Klitsche und immer noch Sachbearbeiterin? Echt? Das muss doch total langweilig sein, nach so vielen Jahren.«
Bisher wusste ich gar nicht, dass Jens neben dem Abitur auch noch einen Einser-Abschluss der Dieter-Bohlen-Charme-Schule vorweisen kann. Ich fühle mich in die Ecke gedrängt, vielleicht ein bisschen so wie das karamellisierte Möhrchen, das ich mir zwischen die Finger geklemmt habe und das mir jetzt aus der Hand glitscht und irgendwo in den unendlichen Weiten der Unsichtbar verschwindet.
»Was war das? Irgendwas hat mich getroffen!« Jens klingt erschrocken.
»Ich glaube, hier gibt’s so große Lebensmittelmotten. Diese ekligen brauen. Vielleicht hat dich ja eine in der Dunkelheit für
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