Abgebrezelt
sowieso keinen Gesprächspartner.«
Peter lacht. »Das wäre tatsächlich möglich. Ich hol Ihnen die Jacke.«
Offensichtlich hatte Peter noch mehr mitbekommen, als das mit dem Essen. Zwei Minuten später ist er mit meiner Jacke wieder da, ich bedanke mich bei ihm, und er nimmt mir das Versprechen ab, bald wieder, vielleicht mit jemand anderem, vorbeizukommen und dann das Essen auch mal zu probieren. Dann verlasse ich schnell das Restaurant.
Die Luft ist kühl und frisch, und ich atme ein paarmal tief ein und aus und laufe ein paar Meter am Rhein entlang. Als der erste Ärger über Jens verflogen ist, rollt eine Welle der Enttäuschung über mich hinweg. So viele Jahre hab ich ihm hinterhergeheult, mich eine Million Mal gefragt, warum er gegangen ist, und war in der Zeit nie wirklich bereit für einen anderen Mann.
Ich schaue über den Rhein, auf den beleuchteten Dom und das hässliche blaue Musicalzelt aus Plastik, das man neben das Weltkulturerbe gezimmert hat, und lasse auch die letzten Tage noch einmal Revue passieren. Rein menschlich kommt da irgendwie nur Christian vor. Ich sehe Christian, der sich, nachdem er mich angefahren hat, besorgt über mich beugt, Christian, der sich nicht zu schade ist, in meiner miefigen Bude Ordnung zu schaffen, der für mich kocht, der wegen mir zum Mittäter wird und sich sogar strafbar macht, Christian, der mich aus den Fängen der Justiz befreit. Ich sehe keine Julia, keine Caro und keine Simone.
Eine unglaubliche Traurigkeit überkommt mich bei dem Gedanken, dass ich den einzigen Menschen, der in den letzten schweren Tagen zu mir gestanden hat, mit Füßen getreten habe. Ich hab ihn stehen lassen, damit ich mit Jens essen gehen kann. Ich war mir, wenn ich ehrlich bin, zu fein dafür, mit einem Mann auszugehen, der aussieht wie Christian. Ihm hätte es nichts ausgemacht, mit einer Frau mit Matschauge und Nesselsucht auszugehen. Ich schäme mich in Grund und Boden für mein Verhalten. Millionen von Schlechte-Gewissen-Zwergen ziehen an mir und beschimpfen mich.
Ein holländisches Kohleschiff schippert behäbig vorbei und erinnert mich an die vielen Gelegenheiten in meinem Leben, die ich gehabt habe, um etwas gut zu machen, und die ungenutzt an mir vorübergezogen sind. Dieses Mal will ich das Schiff nicht einfach so davonschwimmen lassen. Ich nehme die Sonnenbrille und die Baseballkappe ab, ziehe das Tuch aus und mache mich entschlossen auf den Weg.
SIEBENUNDZWANZIG Funny Faces
Christian wohnt in einem schönen weißen Altbau. Man sieht schon von außen die hohen Decken mit aufwendigen Stuckverzierungen. Die Haustür ist ebenfalls weiß, mit Milchglasscheibe und einem Blumenmuster in der Mitte. Da die Haustür nicht richtig zu ist, muss ich nicht klingeln, sondern kann direkt reingehen. Christian wohnt wie ich in der zweiten Etage. Ich gehe eine alte ausgetretene und knarrende Holztreppe mit rotem Geländer hoch und stehe dann vor seiner Tür. Ich drücke auf den Klingelknopf und höre Vogelgezwitscher. Ich muss lächeln, das passt zu ihm. Dann höre ich Schritte, und die Tür geht auf.
»Jessica. Was willst du? Hat Herr Pitt heute etwa keine Zeit für dich?« Christians Stimme ist bitter, und mir rutscht das Herz in die Hose. Er sieht sehr blass aus, aber ich wette, dass ich in diesem Moment mindestens genauso blass bin wie er. Seine Augen schauen mich kalt und unnahbar an, keine Spur von einem Lächeln in seinem Gesicht. Ich versuche, mich dadurch nicht unterkriegen zu lassen.
»Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Ich weiß nicht, was gestern ... – Ich hab das wirklich nicht so gemeint. Ehrlich! Es tut mir furchtbar leid!«
Wir stehen ein bisschen verloren im Hausflur. Er starrt mich an. Ich warte auf eine Reaktion, auf irgendwas, aber es passiert absolut nichts. Christian steht wie vom Donner gerührt in seiner Tür, und ich habe das Gefühl, dass er selbst nicht sicher ist, wie er auf meine Entschuldigung reagieren soll. Deshalb frage ich ihn, ob ich reinkommen kann. Er tritt zögernd zur Seite und lässt mich in die Wohnung. Ich stehe in einem langen Flur mit Decken, die mindestens fünf Meter hoch sind und an denen moderne Halogenstrahler hängen. Die Wände sind sonnengelb gestrichen, der Boden ist ein alter dunkelbrauner Dielenboden, alles wirkt hell und freundlich. An der Wand hängen gerahmte Kinoplakate aus den 50er Jahren, meistens mit Audrey Hepburn. Ich gehe an Frühstück bei Tiffanys , Infam und Wie klaut man eine Million vorbei, Christian folgt
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