Abgebrezelt
Rademann!«, rufe ich ihm noch hinterher, »Ihnen auch noch einen schönen Tag!«
Ich bin so guter Dinge, dass ich mich noch nicht mal über diesen armen alten Mann aufrege. Dann rufe ich Christian an und erzähle ihm aufgeregt, dass mein Matschauge einfach so verschwunden ist.
»Echt? Das ist ja … na, das ist ja ungewöhnlich!«
»Ungewöhnlich? Christian, das ist eine Sensation!«, jauchze ich in den Hörer.
»Ja, natürlich, eine Sensation«, sagt er ziemlich lahm.
»Christian, das ist der Hammer! Es ist wirklich unglaublich! Weg! Einfach so! Ich bin so glücklich, Christian!«
»Ich freu mich für dich, Jessica, wirklich.«
»Was hältst du davon, wenn ich dich und meine Freundin Julia heute zur Feier des Tages in eine schicke Bar einladen würde. Ins Ivory!?! Um acht?«
»Julia? Habt ihr euch denn wieder vertragen?«
»Ja, stell dir vor, ich hab vergessen, dass sie die letzten zwei Wochen gar nicht da war. Sie war mit ein paar schwer erziehbaren Jugendlichen in einem Camp. Du glaubst gar nicht, wie erleichtert ich bin!«
»Doch, das glaub ich dir! Aber Jessi, sei mir nicht böse, ich muss jetzt hier weitermachen. Es stehen ein paar Kunden im Laden, und das Telefon blinkt die ganze Zeit. Jemand versucht mich zu erreichen. Wir sehen uns ja heute Abend. Ich hab zwar noch einen Anwaltstermin um sechs, aber ich müsste es pünktlich schaffen. Genieß den Tag!«
»Prima, dann bis später!«
Ich lege auf und drehe mich ein paarmal mit meinem Bürostuhl vor Freude um die eigene Achse. Es ist das Größte, wenn ich mich wieder einfach so verabreden kann, und zwar an Orten, die beleuchtet sind, an Orten, wo Menschen sind. Herrlich, dass ich keine Angst mehr habe, unter Leute zu gehen! Trotz der zusätzlichen Kilos fühle ich mich leicht wie eine Feder! Voller Elan mach ich mich an den Stapel mit Unterlagen auf meinem Schreibtisch und vergesse kurzfristig alles um mich herum. Ich habe gar nicht gewusst, dass Arbeiten so viel Spaß machen kann. Vor zwei Wochen hätte ich geflucht und versucht, die meiste Arbeit irgendwie auf Christine abzuwälzen. Die Mittagspause arbeite ich durch, damit ich auf jeden Fall früh Feierabend machen kann.
Am frühen Nachmittag kommt unser französischer Marketingchef den Flur entlang, hinter ihm läuft Christine und redet aufgeregt auf ihn ein. Leider kann ich nicht verstehen, worüber sie reden, was sich aber ändert, als die beiden in mein Büro kommen.
»Madame Kronbach! Ça va bien? Schön, dass Sie wiedér ier sind unter úns!«, begrüßt mich Monsieur Laval, der Interpool-Marketing-Direktor. Monsieur Laval ist ein typischer Franzose, der absolut nicht gewillt ist, seinen französischen Akzent abzulegen, obwohl ich mir sicher bin, dass er das nach 15 Jahren Leben in Deutschland könnte. Er kommt an meinen Schreibtisch und gibt mir die Hand. Sein Händedruck ist fest und trocken.
»Hallo, Monsieur Laval. Danke der Nachfrage, schon viel besser! Hallo, Christine!« Meine Kollegin steht mit angesäuertem Gesicht im Türrahmen und mustert mich.
»Hallo«, sagt sie kurz angebunden.
»Madame Kronbach, isch muss kurz mit Ihnén redén. Aben Sie einé Minüt für misch?«
»Worum geht’s denn?«
»Alors, wie Sie vielleisch geört aben, möschten wir unsér Corporate Design ein bisschen auffrischén. Wir wollen Interpool, en future ein wenisch andérs posisionierén.«
Hätte ich mir ja denken können. Er will mir jetzt verklickern, dass zukünftig eine andere die Miss Interpool sein wird. Wahrscheinlich steht Christine auch deshalb immer noch in der Tür, obwohl sie mit ihrem verkniffenen Gesicht nicht gerade so aussieht, als hätte ihr Monsieur Laval gerade gesagt, dass sie die zukünftige Königin der Whirlpools sein wird. Aber was soll’s! Mir ist das sowieso nicht mehr wichtig.
»Ja, ich hab schon davon gehört. Das Image von Interpool soll jünger werden, richtig?«
»Bon alors, nischt unbedingt jüngér. Eher plus fresh et ein bischen erwachsenér«, erklärt er.
»Genau!«, mischt sich jetzt Christine ungefragt ein, »und dazu braucht man auch ein frisches Gesicht, finde ich.«
»Und damit meinst du wahrscheinlich dein eigenes, oder?«, frage ich sie kühl.
»Ganz genau!«
»Hört sich gut an, und vielleicht hat Christine ja wirklich ausnahmsweise mal recht, mit dem, was sie sagt«, wende ich mich wieder an Monsieur Laval. Ich möchte nicht, dass es so aussieht, als ob ich nicht damit gerechnet hätte. Außerdem will ich mir vor Christine schon gar keine
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