Abgehakt
ihm ihre Worte entgegen. »Sie wird ihr Leben lang ein Trauma haben, und die Trauer um diesen Carsten wird sie zerfressen.«
»Ich glaube, da irren Sie gewaltig. Anne ist eine starke Frau. Sie wird keine Schäden zurückbehalten, vor allem, weil sie durch den Mann an ihrer Seite gestärkt wird.«
Barbara musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen.
»Ja, Sie hätten besser zielen müssen. Carsten Westphal lebt und wird Anne Degener so was von glücklich machen, dass Sie bei dem Gedanken an die beiden ein Trauma bekommen werden.«
Dass Carsten operiert worden war, zurzeit im Koma lag und keinesfalls außer Lebensgefahr war, verschwieg er. Er war davon überzeugt, dass sein Freund es schaffen würde. Und was Anne anging, man hatte sie ebenfalls ins Krankenhaus gebracht und ihr starke Beruhigungsmittel gegeben. Körperlich war sie unverletzt. Ob sie seelische Schäden davongetragen hatte, blieb abzuwarten und würde sicher auch von Carstens Zustand abhängen. Martin würde am Abend nach den beiden sehen.
Barbara antwortete zunächst nichts, aber ihren Gesichtszügen sah man an, dass ihr die Entwicklung der Dinge nicht passte.
»Ich habe einen Fehler gemacht«, sagte sie nach einer Weile. »Ich hätte die kleine Schlampe sofort umbringen sollen. Zu dumm von mir. Sie sehen, Herr Sandor, ich kann meine Fehler einsehen.«
Wie abscheulich ist diese Frau?, fragte sich Martin und suchte Pauls Blick, der kopfschüttelnd an einem zweiten Schreibtisch saß. Auch er konnte nicht fassen, was er zu hören bekam.
Martin würdigte sie keiner Antwort. Seit Barbaras Verhaftung quälte er sich mit den Fragen, ob er ihr früher auf die Schliche hätte kommen können, ob er den Schuss auf Carsten hätte verhindern können, ob er … Nein, er musste aufhören, sich diese Gedanken zu machen. Er hatte sie gefunden, und damit diese ganze schreckliche Geschichte beendet.
Martin versuchte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, und überlegte, ob er einen Aspekt des Verhörs bislang übersehen hatte. Aber ihm fielen keine weiteren wichtigen Fragen mehr ein.
Barbaras Motiv war bekannt. Martin hatte diesbezüglich mit einem Psychoanalytiker, der sich ausschließlich mit der Erforschung von Kriminellen und deren Motiven beschäftigte, gesprochen. Er war der Ansicht, dass Barbara Hansen sich zunächst die Schuld für den Betrug ihres Ehemannes gegeben hatte, weil sie ihm seine spätere Geliebte vorgestellt hatte. Nachdem er sie verlassen hatte, beobachtete sie ihren Exmann und seine neue Freundin mehrere Wochen lang. Das wiederum ließ die eigenen Schuldgefühle verblassen und steigerte ihren Hass auf Frauen, die verheiratete Männer verführten. Und zwar so sehr, dass sie ausgehend von ihrem Schicksal eine Gesetzmäßigkeit herleitete. Für sie war es, als verschaffte sie der Welt Gerechtigkeit und sich selbst Entschädigung für die erlittene Demütigung und Entbehrung.
Martin war froh, sich nicht länger mit ihren Beweggründen auseinandersetzen zu müssen, ein psychologisches Gutachten würde ohnehin erstellt werden. Für heute wollte er nur noch Schluss machen. »Wissen Sie was?«, wandte er sich Barbara wieder zu. »Sie hatten recht, als Sie sagten, dass Menschen wie Sie hoffnungslos uneinsichtig sind. Man kann sie nicht mehr ändern oder heilen. Dafür sind Sie zu alt und haben zu oft getötet. Das Einzige, was da noch hilft, ist, Ihre Mitmenschen vor Ihnen zu schützen, indem man Sie für alle Zeiten wegsperrt.« Er erhob sich und ging zur Tür, wo ein Kollege darauf wartete, die Gefangene abzuführen. »Und genau das werden wir jetzt tun.«
Sie stand ebenfalls auf und ging auf ihn zu. Sie wollte noch etwas sagen, doch Martin hatte die Tür bereits geöffnet und dem Kollegen zugenickt. »Behalten Sie es für sich«, sagte er und beförderte sie mit einem Schubs nach draußen. Sie würde hier nicht das letzte Wort haben.
Am nächsten Morgen ging Martin in Egon Milsters Büro. Er lieferte seinen Bericht ab und bat ihn um eine Woche Urlaub. Es schien ihm die beste Möglichkeit, diesen Fall zu verarbeiten und vor allem den nervigen Journalisten, die ihn ständig bedrängten, aus dem Weg zu gehen. Sein Chef stand am Fenster und wirkte ziemlich erschüttert. Dass er die Mörderin zu seinem Bekanntenkreis gezählt hatte, war ihm äußerst peinlich. Die Zeitungen hatten sich natürlich darauf gestürzt und in großen Lettern getitelt: »Die Mörderin, eine Freundin des Kriminaldirektors!« – »Killerin durch die Polizei
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