Abgehauen
erstens nicht stellvertretender Chefredakteur des NEUEN DEUTSCHLAND sein, zweitens möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Terminologie dieses Artikels wörtlich entnommen ist den Ausbürgerungsdokumenten des nationalsozialistischen Staats. Ich habe mit einem Genossen gesprochen, der damals ausgebürgert wurde. Das ist nämlich eine Nazipraxis.
Lamberz:
Das ist nicht wahr.
Heym:
Die Ausbürgerung ist eine Nazipraxis. Und wenn das die Sowjetunion nachgemacht hat, dann ist das um so schlimmer für die Sowjetunion.
Lamberz:
Das ist das normale Völkerrecht eines jeden Staates. Ich weiß nicht, ob Frankreich ein Nazistaat ist, denn in Frankreich ist das seit der Revolution Tradition.
K. Sensberg:
Das ist eine Errungenschaft gewesen, die die Revolution den Franzosen gebracht hat. Das können Sie nachlesen. In England genau das gleiche, seit 1648.
Heym:
Genosse Lamberz, bitte prüfen Sie das, es ist genau der Wortlaut der Nazikommentare. Die Ausbürgerung selbst war meiner Meinung nach erstens rechtlich nicht richtig. Denn er hat ein Wiedereinreisevisum gehabt, und ein Staat, der ein Wiedereinreisevisum gibt, muß dieses Wiedereinreisevisum akzeptieren. Wenn Sie etwas gegen Biermann haben und seine Auftritte im Westen, dann ist es an Ihnen, ihm hinterher ein Verfahren zu machen, ein Gerichtsverfahren, ein öffentliches Gerichtsverfahren, wo der Staatsanwalt nachzuweisen hat, daß gegen die Gesetze der DDR verstoßen worden ist. Und erst dann kann man ihn ausweisen. Das zum Formellen. Jetzt zum politischen Inhalt. Es ist Ihnen offensichtlich nicht ganz klar gewesen, daß wir nicht in einem Lande leben, das groß ist, das ein Land ist, sondern wir leben in einem geteilten Land in der Mitte Europas, und daß Biermann nicht ausgebürgert wurde aus Deutschland, sondern von Deutschland nach Deutschland. (Leichtes Zucken in einigen Gesichtern.) Daß dieser Mann, der Sie von links kritisiert, Ihnen ein Pfahl im Fleische sein wird für viele Jahre, das nenne ich einen politischen Fehler. Und ich meine, wir sollten uns jetzt nicht so sehr darüber unterhalten, warum wir diese unsere Resolution, diese Bitte an die Regierung auch an die West-Agenturen gegeben haben. Die Genossen hier, die Freunde, haben alle klargemacht, daß es bei uns keine Öffentlichkeit gibt für irgendeine Meinung, für irgendeinen Appell, der sich, abweichend von der gerade herrschenden Regierungsmeinung, an die Regierung und an das Volk richtet. Seit vielen Jahren zum Beispiel – obwohl ich auf die übelste Weise angegriffen worden bin in unserer Presse – ist es mir unmöglich gewesen, in dieser Presse zu antworten. Wenn ich mich an die Bevölkerung der DDR richten möchte – und Sie haben mir selbst vorhin das schöne Kompliment gemacht, daß ich mich in der fürchterlichen Talk-Show richtig verhalten habe, selbstverständlich richtig verhalten habe, denn ich bin Sozialist, und zwar etwas länger als die meisten hier –, wenn ich mich an die Bürger der DDR richten möchte, dann muß ich das West-Fernsehen benutzen. Seit vielen Jahren ist dies die einzige Möglichkeit zu kommunizieren.
Lamberz:
Sind nicht Ihre Bücher die geeignete Form zu kommunizieren mit der Bevölkerung?
Heym:
Ihr habt die Bücher verboten, dann habt ihr sie wieder gestattet, dann habt ihr sie wieder verboten. Und eines war immer ein verbotenes Buch (»Fünf Tage im Juni«), was ich Ihnen jetzt empfehlen möchte, weil es nämlich eine ähnliche Situation beschreibt.
Becker:
Das glaube ich nicht, Stefan.
Lamberz:
Sehen Sie! Sehen Sie! Jetzt kommen wir langsam drauf … (Tumult) Das wollte ich nämlich nicht hören! Das ist für mich interessant, was ich da eben gehört habe.
Schubert:
… Ich hab was verstanden vom 17. Juni …
Heym:
Ich will noch … Ich will noch kurz davon sprechen, Genosse Lamberz, daß es uns nicht anders möglich ist, an die Öffentlichkeit zu kommen als über den Westen. Was ich im Westen gesagt habe, ist für die DDR gewesen, das ist ‘ne andere Sache, aber hier habe ich es nicht sagen können. Ich meine jetzt, wir sollten über die Zukunft sprechen. Dieser Brief von den Genossen enthält die Bitte an die Regierung, diese Sache noch einmal zu überdenken. Ich weiß nicht, ob es nicht möglich ist, daß Sie dies tun. Ich habe neulich – auch wieder im Fernsehen – gesagt, das wäre nicht ein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von großer innerer Kraft. Ich meine, wenn Sie
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