Abgehauen
schreiben. Dann hätten sie sich erst einmal mit Freunden beraten. Viele Leute, auch im Theater, zeigten Angst bei dem Thema.
Krug:
Es gab auch einen Schauspieler, der hat, als ich kam, gesagt: »Biermann? Moment … Kann sein, daß ich den Namen schon mal gehört habe. Hilf mir mal eben, wer ist das? Ach, was du nicht sagst. Was hat denn der in Köln eigentlich gemacht? Da stehen ja tolle Sachen im NEUEN DEUTSCHLAND. Tja, weißt du, den Westkanal sehe ich fast nie, und hier gab’s nichts über den Mann zu lesen. Er scheint hier nicht veröffentlicht worden zu sein …«
Dieter Schubert:
Ich möchte auch was dazu sagen. Zunächst, daß ich die Resolution gut finde. Das ist sehr wichtig für uns alle, jedenfalls für mich. Ich bin 20 Jahre in der Journalistik der DDR tätig gewesen, jetzt arbeite ich seit längerer Zeit als Schriftsteller. Zehn Jahre war ich in der JUNGEN WELT, mein Chefredakteur war Joachim Herrmann damals, und ich weiß natürlich, wie bei uns Journalistik gemacht wird und wie Zeitungen entstehen. Also, ich muß sagen, um auf diese Sache zu kommen, daß ich erstens betroffen war von dem Ton, der im NEUEN DEUTSCHLAND zu lesen war über die Geschichte, und zweitens habe ich mich als disziplinierter Mensch – durch die Journalistik vor allem, was mir in der Literatur übrigens zunächst sogar ein bißchen geschadet hat – wirklich gefragt, und das sehr eindringlich: was machst du da, wenn du diese Unterschrift gibst? Wem nützt das? Und ich glaube, nach meinen Erfahrungen unter Journalisten war meine Entscheidung, mich auf dieser Liste einzutragen, richtig. Denn ich habe keine Möglichkeit gesehen nach meinen Erfahrungen, diese meine Auffassung und die anderer bei uns veröffentlicht zu sehen. Vorhin war hier von Vertrauen die Rede. Vertrauen ist eine Sache von Gegenseitigkeit. Ich glaube, hier ist in den letzten Jahren – und man muß bei dieser Situation mal die Ursachen sehen für eine solche spontane massenweise Beteiligung –, hier ist eine Art Vertrauensvakuum entstanden. Ich glaube, daß es notwendig ist, dieses Vakuum auszufüllen mit schöpferischen, freimütigen Diskussionen, die wir übrigens im Vorstand des Berliner Schriftstellerverbandes schon eine Weile führen, aber nicht in der Öffentlichkeit. Heute noch nicht. Das ist eine ganz wichtige Konsequenz aus dieser Situation, über deren weitere Konsequenzen nachher vielleicht noch zu reden ist. Das ist eine ganz wichtige Sache, die wir uns alle überlegen müssen.
Becker:
Laß mich einen Aspekt hinzufügen. Ich halte es persönlich für wichtig, und ein ganz gravierendes Motiv für meine Entscheidung war folgendes. Du (Lamberz) sagst selbst, Biermann war bis zu dieser Geschichte ein in der DDR eigentlich relativ unbekannter Mann. Jetzt steht das im NEUEN DEUTSCHLAND über ihn. Und die fünf Millionen Leser – ich weiß nicht, wie viele das NEUE DEUTSCHLAND hat – müssen sich aufgrund dieses Artikels eine Meinung über Wolf Biermann bilden. Ich lege Wert darauf, daß mein Nachbar erfährt: Ich bin anderer Ansicht. Und es ist für ihn wichtig zu wissen, daß Krug gegen die Ausbürgerung ist. Das soll zu der Meinungsbildung des Nachbarn beitragen. Ich finde es für den wichtig zu wissen: Die Wolf ist dagegen und der Kant ist dagegen.
Lamberz und Adameck gemeinsam:
Kant ist dafür.
Becker:
Nein, Kant ist dagegen. Kant ist gegen unser Vorgehen. In diesem Brief von Kant steht, daß er nicht vor Biermann beschützt werden möchte. Das halte ich für einen Aspekt dieser Angelegenheit, den man nicht vergessen sollte. Und ich finde das wichtig. Und natürlich ist es auch wichtig für die Meinungsbildung der Leute, die Namen derer zu wissen, die dafür sind.
Krug:
Hier steht ein Sprachakrobat im NEUEN DEUTSCHLAND. Der Komponist Gerhard Rosenfeld ist auf folgendes gekommen, das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: »Mit Erstaunen las ich im ND vom Auftreten Wolf Biermanns in der BRD. Der Bericht über sein Verhalten fordert meine Distanzierung.« Ein Kunstwerk, dieser Satz. Gehört in eine Pfiffigkeitenanthologie.
Heym:
Da seid ihr auf einen Schwejk reingefallen. (Alle lachen.) Genosse Lamberz, ich will mal ein bißchen in die Vergangenheit zurückgehen, um dann auf die Zukunft zu kommen. Im Jahre 1965 klingelte es bei mir früh um sechs an der Tür. Sie kennen meine Tür, Genosse Adameck. Und es standen davor drei Männer in Ledermänteln. Und überbrachten mir einen Zettel, auf dem stand, ich
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