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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krug
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ausländischer Botschaftssekretär in einem dieser hastig gebauten Kästen, sein Land zahlt monatlich 5000 Mark West Miete dafür, die Heizung nicht gerechnet. In meinem Haus könnte der Botschafter einer großen Nation würdig residieren, es müßte vergleichsweise 10 000 Mark abwerfen, das würde in zehn Jahren meine drei Filme bezahlen. In West. Aber die Leute sagen, die Hoffmann sei nie so gut gewesen wie in »Das Versteck«, Angelika Waller sei nie so gut gewesen wie in »Abschied vom Frieden«. Von der Hoffmann habe ich den Eindruck, daß sie mich verstehen kann. Die anderen?
     
    21. April 1977, Donnerstag
    Den ganzen Tag über klingelt es. Immer stehen Freunde draußen. Es zerreißt mir das Herz, daß ich so viele Freunde habe. Manche parken ihren Wagen direkt vor meiner Haustür. Jedem drücke ich meinen Ausreiseantrag in die Hand, alle nehmen ihn mit größter Selbstverständlichkeit und lesen.
    Am Nachmittag kommt Frank Beyer. Auch er liest. Ich verdächtige ihn, daß er die Absicht oder den Auftrag habe, mit mir vernünftig zu reden, mich umzustimmen. Aber es kommt anders. Ich rede mit ihm. Ich sage ihm, daß er vielleicht der einzige sei, von dem ich mich verraten fühle. »Ich weiß«, sage ich, »daß ich auf andere oft den Eindruck einer starken, selbstsicheren Persönlichkeit gemacht habe, die ich nicht bin. Ich hoffe, wenigstens du weißt das. Ich bin ein Weichtier, eine Nacktschnecke. Ihr habt mich alle nicht heulen sehen über ein paar Töne von Ella Fitzgerald oder über ein Erdbeben im Fernsehen. Viele haben sich Rat von mir geholt und nicht bemerkt, daß sie auch mich beraten und beeinflußt haben, du am allermeisten. Denn du hast dieses große Wort gesagt, du wolltest im Bunde von Jurek und mir der Dritte sein. Als wir damals im November aus dem Zentralkomitee – oder war’s das Politbüro? – kamen nach stundenlangen Gesprächen mit Lamberz, in denen er uns um alles in der Welt gebeten hat, ihm einen Es-lebe-die-DDR-Brief zu schreiben; wo er uns buchstäblich angebettelt hat, daß einem himmelangst werden konnte, weil wir mitten in seinem Büro, wo immer die anderen die Hosen runterlassen mußten, seinen nackten Arsch gesehen haben – da saßen wir abends in meinem Haus zusammen, und du sagtest: Nein. Keinen Brief. Niemals. Du sagtest: Sie werden die Briefe auf einen großen Haufen legen – ganz egal, was drinsteht – und werden die Liste abhaken und unterteilen in die, die geschrieben haben und die anderen, die nicht geschrieben haben. Und den harten Kern werden sie sich vorknöpfen. Du warst ein paar Tage so herrlich in Fahrt, Frank Beyer! Du sagtest: Mehr als zehn Jahre habe ich gewartet, um ihnen einmal die Zähne zu zeigen, jetzt tue ich’s. Du sagtest: Ich Idiot hab mich an der Kandare der Parteidisziplin gängeln lassen, damit können sie mich jetzt gern haben. Seit zehn Jahren gebe ich den Leuten nicht gern die Hand, weil ich Schwitzehändchen habe. Das ist jetzt vorbei! Kuck hier: furztrockene Hände! Du warst so echt in diesen Tagen, das Feuer deiner roten Haare, die dir die Kindheit vergällt haben, stand dir zum erstenmal gut zu Gesicht, deine Ohrläppchen waren nicht so lila wie sonst, und deine Sommersprossen gaben dir was Männliches. Du sahst aus wie ein wütender Cowboy. Ich wußte an diesem Abend: von Jurek Becker, Frank Beyer und Manfred Krug wird es keine Zeile geben. Ein paar Tage später hast du dem Lamberz irgendeinen Scheiß geschrieben, den ganzen Scheiß vom VIII. und IX. Parteitag. Jetzt hast du die Kandare wieder im Maul.« Frank sagt: »Ich habe die Unterschrift nicht zurückgezogen, sie gilt bis heute. Ich habe nie die Absicht verfolgt, mich irgendeiner oppositionellen Gruppe anzuschließen. Für mich gab es nie die Alternative, in den Westen oder sonstwohin zu gehen, ich gehöre auch nicht zu denen, die aus der Partei ausgeschlossen werden wollten. Meine Unterschrift hatte einzig das Ziel, Biermann zurückzuholen.«
    Plötzlich sprechen wir über die kritische Weltlage. Er sei bewegt von dem Gedanken, wie nahe wir einem dritten Weltkrieg seien. Ob ich mir schon einmal überlegt hätte, was aus Jugoslawien wird, wenn Tito stirbt. Was für Interessen und Völker dort widerstreiten, da könnte es – nachdem der Einmarsch in die Č SSR so glimpflich verlaufen sei – leicht sein, daß die Russen wieder Briefe bekommen, serbische Hilferufe diesmal, und da unten einmarschieren und für Ordnung sorgen, und es könnte sein, daß die Amerikaner dann nicht

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