Abgehauen
Deshalb werden sie auch gedruckt. Manchmal stehe ich morgens auf und frage mich, ob meine Lebensumstände eigentlich normal sind. Normal – ich weiß schon, die Irrenärzte waren die ersten, die sich dieses Wort abgewöhnt haben. Also, ich frage mich, ob ich eine Chance habe, ganz selbstverständlich meinen eigenen Entschlüssen folgend zu reagieren, wenn mein Dahinleben angegriffen oder gestört wird. Wenn ich z.B. Krach habe mit dem Generaldirektor des Filmstudios, werde ich bei ihm keinen Film mehr drehen. Es sei denn, er begreift, daß dieser Krach nichts mit meiner Qualität als Schauspieler zu tun hat. Das begreift er aber nicht. Er ist ein dummer Junge, so wie alle Männer ihr Lebtag dumme Jungs bleiben. Nicht anders ist es, wenn ich Krach kriege mit dem Fernsehchef, dem Schallplattenchef, dem Rundfunkchef; denn alle diese Institutionen und ihre Chefs gibt es in der DDR jeweils nur einmal. Ich kann nirgendwo anders hingehen, und kein anderer Direktor kann sich darüber freuen, daß die Unfähigkeit der Konkurrenz ihm endlich eine Zusammenarbeit mit mir ermöglicht.
Wenn einer die Regierung kritisiert, dann kriegt er mit der Regierung Krach, dann wird es ungemütlich, das kann schlimm enden. Man kann es noch so freundlich säuselnd tun, es können sich – wie im letzten Fall – zwölf berühmte Schriftsteller dransetzen, sich die Hirne zermartern, um ausreichend unterwürfige Formulierungen zustande zu bringen – es gibt Krach. Wenn die Regierung mit einem Regierten wie mir Krach hat, dann ist der unten durch bei all den Chefs, die ich eben aufgezählt habe, und da habe ich noch den Synchronchef vergessen und die Mehrzahl der Theaterchefs, die feigen Hunde. Das ist doch nicht normal.
Wenn die mächtigen Männer im Land, die zugleich ängstliche Männer sind, mit dir schmollen, wird’s gefährlich, denn, das weiß jeder, Macht und Angst, das ist ein fürchterliches Gemisch.
Ich hätte also mein Haus vermietet oder bedürftigen Freunden geliehen, und dann wäre ich nach Zürich, mein Glück versuchen, vielleicht hätte ich gehört, daß sie dort einen genialen Vierziger brauchen, oder nach Paris, da ist das Leben so süß. Und nach Jahren wäre ich nach Pankow zurückgekommen, um nachzusehen, ob sie mich dort wieder brauchen können. Aber es bliebe doch wenigstens meine Heimat, ich hätte niemandem was weggenommen, nur mich selbst für eine Weile aus der Schußlinie. Das geht nicht. Nur eine absolute Trennung, eine Amputation, das geht. Das ist doch nicht normal.
Wir haben den Brief abgegeben und gehören jetzt zu den Aussätzigen in der DDR. Heute abend noch nicht, heute sind wir bei Freund Pröbrock in der Nachbarschaft eingeladen. Auch ein paar Ausländer sind da, Italiener, Holländer und eine Australierin. Ich erwarte Minchen und Jurek, die sich heute die interne Vorführung des Films »Das Versteck« angesehen haben. Die Arbeit an diesem Film hatte vor der Biermann-Ausweisung begonnen, den größeren und schwierigeren Teil haben wir nach Erscheinen der Liste gedreht, unter dauerndem Streß, täglich hatten wir Zusammenkünfte in den Garderobenräumen, wo wir unsere Chancen, unsere Lage besprachen. Denn die Namen der wichtigsten Mitarbeiter an diesem Film standen allesamt auf der Liste: Autor Jurek Becker, Regisseur Frank Beyer, die großartige Jutta Hoffmann als Hauptdarstellerin und der Hauptdarsteller Manfred Krug. Es ist ein Film, der die ver geblichen Hoffnungen auf Wiederbelebung einer kaputten Ehe schildert, gedreht von vier »Dissidenten«. Minchen Müller-Stahl kam mit seiner Frau. Sie hatte die Tränen noch in den Augen, die sie während des Films geheult hatte. Jurek kam mit Jutta Hoffmann. Alle erzählten, wie schön der Film war, den sie in einer internen Vorführung sehen durften, zu der ich nicht geladen war. Vielleicht würde ich »Das Versteck« niemals sehen. Der kleine Saal sei von Leuten voll gewesen, es habe langen Applaus gegeben. Da liegen nun drei Filme in den Kellern, in denen ich spiele und die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht herauskommen werden. »Feuer unter Deck«, »Das Versteck« und »Abschied vom Frieden«, ein dreiteiliger Fernsehfilm. Wie viele Millionen mögen die gekostet haben? Wie viele Hoffnungen auf Erfolg mögen dranhängen, Hoffnungen der Regisseure, Autoren, Schauspieler? Ich sollte mich schämen. Mein Ausreiseantrag hat alle diese Hoffnungen begraben. Meine eigenen dazu.
Den finanziellen Verlust könnte ich wiedergutmachen. Nebenan wohnt ein
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